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Urban Gardening

Ob die Tomate vom Balkon oder die Zucchini aus dem Gemeinschaftsgarten nebenan – "Urban Gardening" ist ein Trend! Der CampusGarten der Uni Würzburg zeigt, wie es geht.

Beim Urban Gardening geht es darum, brachliegende Flächen in der Stadt nach ökologischen Aspekten gemeinsam zu bewirtschaften. Die grünen Oasen, die dadurch entstehen, bieten nicht nur eine Nutzfläche für den Anbau von Obst und Gemüse, sie fördern auch die Biodiversität.


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Der CampusGarten der Universität Würzburg setzt diese Idee in die Tat um – basierend auf dem Konzept der Permakultur. Begründet von den australischen Wissenschaftlern Bill Mollison und David Holmgren Anfang der 1980-er Jahre, verbindet die Permakultur Erkenntnisse aus Agrarwissenschaft, Ökologie, Systemtheorie, Gartenbau und Kreislaufwirtschaft. Das Ziel sind selbstregulierende ökologische Systeme, die eine ertragreiche Nahrungsmittelproduktion gewährleisten. Die natürliche Umwelt soll dabei so wenig wie möglich belastet werden.

Der Naturschutzaktivist und Geograf Markus Gastl aus Herrieden in Mittelfranken hat ein "3-Zonen-Modell" entwickelt, mit dem sich Permakultur auf Hausgärten übertragen lässt: In der Ertragszone werden Nahrungsmittel angebaut, die sogenannte Hot-Spot-Zone mit Sandflächen, Steinhaufen und Teichen fördert die Artenvielfalt. Und die Pufferzone mit Hecken und Bäumen schützt den Garten vor Außeneinflüssen.
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Zwei Anbauflächen bilden den aktiven Gärtnerbereich des CampusGartens. Umrahmt werden sie von der Pufferzone mit ihren zahlreichen Hecken und Bäumen. Überschüssige Biomasse, die beispielsweise durch den Rasen- und Heckenschnitt entsteht, kann auf dem Kompost zersetzt werden. Der Kompost wiederum liefert dann fruchtbare Erde für die Ertragszone. Zur Bewässerung der Beete stehen neben den angelegten Wasserstellen auch Sammelbehälter für Regenwasser zur Verfügung.
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Bereits 2014 riefen Studierende des Referats Ökologie an der Uni Würzburg den CampusGarten ins Leben. Seither hat er sich fortwährend weiterentwickelt. Im Jahr 2017 wurde der CampusGarten mit dem Nachhaltigkeitspreis der UN-Dekade für Biologische Vielfalt sowie mit dem Castell-Preis der Universität Würzburg für nachhaltiges Handeln ausgezeichnet. Weil sich immer mehr Studierende für den Campusgarten interessierten, wurde die Fläche des Gartens im selben Jahr um 600 Quadratmeter erweitert. Inzwischen ist der CampusGarten so groß wie sechs Tennisplätze: Er umfasst heute 1600 Quadratmeter.

Mittlerweile ist in Würzburg ein vielfältiges Angebot für Urban Gardening entstanden: So realisierte das Referat Ökologie zusammen mit dem Würzburger Urban-Gardening-Verein Stadtgärtner zur Landesgartenschau 2018 die 2.000 Quadratmeter große ‘Stadtgartenschau‘ im Herzen des Landesgartenschaugeländes. Direkt an den CampusGarten schließt außerdem der UniAcker an, der im Rahmen von Lehramts- und Pädagogikseminaren genutzt wird.

80 Beete werden im CampusGarten jedes Jahr an Interessierte vergeben. Aktuell beteiligen sich über 100 Studierende an der Aussaat, Pflege und Ernte des Gartens. Wir haben einige von ihnen gefragt, was das Gärtnern für sie ausmacht:
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Neben Wildbienen gibt es im CampusGarten auch Honigbienen. Der gewonnene Honig kann von allen genutzt werden. Die Betreuung der Honigbienen bedeutet für C. Verantwortung zu tragen und einen Ausgleich zum Alltag zu finden: "Bienen sind spannende Lebewesen, auch wenn sie manchmal zu gerne mit mir fangen spielen."

"Ich bin noch recht neu im Garten, habe aber durch die Ansprechpartner vom RefÖko beste Betreuung erhalten. In meinem Beet befindet sich ein Johannisbeerstrauch, der wohl erst nächstes Jahr richtig Früchte tragen wird. Die Tomaten, Bohnen und Auberginen wachsen hier besser als auf meinem Balkon, weil der Platz einfach größer ist. Ich habe mich über jeden Zentimeter Wachstum und über jede geerntete Frucht gefreut."

Steinstrukturen in sonniger Lage bieten einen optimalen Lebensraum für Eidechsen. Außerdem können Insekten und Schnecken in der sogenannten Echsenburg Unterschlupf finden. Auch Erd- und Wechselkröten finden in kleinen Nischen Platz.
Durch den Mix aus Steinen, Kies, Sand, lockerer Erde sowie Ästen und Wurzelstücken entstehen unterschiedlich warme Sonnenplätze für die Lebewesen.

"Ein Beet im CampusGarten zu bewirtschaften ist eine super Möglichkeit, ungezwungen erste Erfahrungen beim Gärtnern zu sammeln. Bisher hatte ich zweimal zwar wenig ertragreiche Ernten, aber große Fortschritte beim Umgang mit Werkzeugen und Pflanzen. Ich baue beispielsweise Chilis, Tomaten und Kartoffeln an. Die Physalis sind diesen Sommer leider nichts geworden."

"Ich habe ein Beet im CampusGarten, weil es für mich einen guten Ausgleich darstellt. Es motiviert, sich an der frischen Luft zu betätigen. Gleichzeitig hat man die Möglichkeit, einen kleinen Teil seines Essens ganz direkt selbst anzubauen und wachsen zu sehen. Mal habe ich es ausprobiert, Kohl wachsen zu lassen oder eine Mischkultur mit Kartoffeln und Ringelblumen. Knoblauch geht immer gut. Außerdem habe ich verschiedene Kräuter wie Schnittlauch und Basilikum und Blumen für die Bienen, zum Beispiel Malve, Löwenmäulchen oder Sauerklee."

"Ich habe durch das Gärtnern viel über die natürlichen Kreisläufe unserer Umwelt gelernt. Als passionierte Hobbyköchin freut es mich außerdem, fast das ganze Jahr von Gartenerträgen zu profitieren. Angepflanzt habe ich bisher verschiedene Kräuter, Erdbeeren, Palmkohl, Süßkartoffeln, Zwiebeln, Zucchinis, Spinat, Jostabeeren, Radieschen, Salate, Lauch, Kornblumen und vieles mehr... Ich achte darauf, möglichst regionale und alte Sorten zu verwenden."

Der Garten bietet neben dem angrenzenden Haus mit Terrasse auch selbstgebaute Möbel aus Paletten. Auf diesen kann man eine kleine Brotzeit zu sich nehmen oder aber auch einfach die Atmosphäre auf sich wirken lassen.

Der untere Bereich des Gartens wurde durch ein unterirdisch verlegtes Rohr mit einem Wasserzapfhahn versehen, um das Gießen zu erleichtern.

Manche Gärtner*innen bewirtschaften ein Beet mit ihrer Familie. Die Kleinen zeigen auch großes Interesse an der Gartenarbeit und helfen mit, wo sie können. Sie dürfen sich aber auch einfach im Sandkasten austoben, während die Eltern in Ruhe das Beet pflegen.

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Der Garten ist naturnah nach dem Prinzip der ‚ökologischen Intensivierung‘ gestaltet: Er ist so angelegt, dass er natürliche Prozesse wie Räuber-Beute-Systeme oder die Bestäubung optimiert. So kann sich der Garten als ökologisches System selbst regulieren – ohne zusätzliche Maßnahmen zur Schädlingskontrolle. Teiche, Steinhaufen und eine naturnahe Bepflanzung mit Gräsern und Flechten schaffen einen natürlichen Lebensraum für Nützlinge und Insekten – und fördern so die Biodiversität.
Neben Insektenhotels und Totholzansammlungen bieten Blühwiesen im CampusGarten vielen Tieren einen Lebensraum – vor allem bedrohten Wildbienenarten. Als Bestäuberinsekten tragen diese einen großen Teil zum Erhalt von Ökosystemen bei: Die Bienen ernähren sich vom Nektar der Pflanzen, die Pflanzen profitieren von der Verbreitung ihrer Pollen durch die Bienen. Im CampusGarten führt dieses Zusammenspiel wiederum zu gesteigerten Erträgen.
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Die Initiatoren des CampusGartens legen Wert darauf, dass die Gartenfläche naturgerecht gepflegt und bewirtschaftet wird. Um das zu gewährleisten, erhalten die Gärtner Informationen und Rat auch auch über die eigens angelegte „Gartenfibel“: Wie sieht ein gesunder Boden aus? Was muss man über das Anlegen von Biotopen und Beeten wissen? Welche Pflanzenarten sind hier heimisch und wie pflegt man sie richtig? Auch über Kompostierung, Düngung und die ökologische Intensivierung klärt die Gartenfibel auf und gibt mit einem Arbeits- und Saisonkalender Tipps für die richtige Anpflanzung, Aussaat und Ernte verschiedener Pflanzen.

Nicht nur um nachhaltiges Gärtnern, auch um Nachhaltigkeit im Sinne eines Wissenstransfers geht es also beim Projekt CampusGarten, wie Lukas Lackner erklärt. In Zukunft soll es verstärkt auch Workshops geben, die bei Interessierten die Begeisterung fürs Gärtnern wecken sollen:
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Naturkosmetik

Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist der Biomarkt förmlich explodiert. So wird Bio immer mehr zum neuen Lifestyle. Sichtbar wird das auch beim Marktanteil von Naturkosmetik in Deutschland.

Laut dem Marktforschungsinstitut IRI ist der Anteil von Naturkosmetik auf dem deutschen Markt seit 2012 um 50 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil konventioneller Kosmetik geschrumpft. Eine wichtige Entwicklung, denn die Inhaltsstoffe herkömmlicher Kosmetika werden für die Umwelt immer mehr zur Gefahr.
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Bei einem Spaziergang am Strand glauben die meisten, nur Sand unter den Füßen zu haben. Dass sich jede Menge Mikroplastik darin befindet, wissen allerdings nur die wenigsten. Schuld daran ist unter anderem unser Kosmetikkonsum: Viele Produkte wie Peelings oder Duschgel enthalten kleinste Plastikteilchen, die über den Abfluss in die Umwelt gelangen. Die Mikropartikel sind oft kleiner als ein Mikrometer, das entspricht weniger als einem Millionstel Meter. Dadurch können Sie auch in Kläranlagen nicht aus dem Abwasser herausgefiltert werden. 
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Eine Studie des Fraunhofer-Instituts UMSICHT bestätigte 2018 die gravierenden Ausmaße: Jährlich gelangen in Deutschland durch Kosmetik ganze 922 Tonnen Mikroplastik ins Abwasser.
Auch die Medien schildern immer häufiger die Folgen von Mikroplastik in den Ozeanen. Dabei sind besonders Meereslebewesen von der unsichtbaren Gefahr durch Mikroplastik bedroht. Wie die Umweltschutzorganisation WWF berichtet, verwechseln Fische die kleinen Plastikteilchen mit Nahrung und fressen diese. Am Ende landen die Schadstoffe deshalb auch auf unserem eigenen Teller.
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Wie in allen Bereichen gibt es auch in der Kosmetikbranche Menschen, die umdenken. Die Hersteller von Naturkosmetik haben sich ein Ziel gesetzt: Sie wollen schädliche Inhaltsstoffe in Kosmetik vermeiden und somit die Umwelt schützen.
Dafür verzichten sie auf den Einsatz erdölbasierter Produkte sowie auf synthetische Farb- oder Duftstoffe. Stattdessen setzen sie natürliche Wirkstoffe wie zum Beispiel natürliche Öle, Zucker, Bienenwachse, Wurzeln sowie Pflanzen und Kräuter ein.
Für die pflanzlichen Rohstoffe gilt außerdem: Biolandbau ohne Pestizide und giftige Schadstoffe. Außerdem verzichten die Produzenten auf Monokulturen und fördern dadurch die Artenvielfalt.
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Dass die Umwelt von Naturkosmetik profitiert, ist kein Geheimnis. Aber gilt das auch für den Menschen? Einige konventionelle Kosmetikartikel enthalten bedenkliche Stoffe: So gelten zum Beispiel Aluminiumsalze als potenziell gesundheitsschädlich, wenn zu viel davon in den Körper gelangt. Aluminiumsalze finden sich zum Beispiel in Deos oder Lippenstiften. Auch die erdölbasierten Paraffine in Hautpflegeprodukten oder Make-Up sorgen zwar für ein angenehmes Hautgefühl, trocknen die Haut jedoch langfristig aus und können sogar Entzündungen hervorrufen.

Jutta Blankenhagen-Wagner ist Inhaberin eines Naturkosmetikstudios in Würzburg. Auch sie rät Verbrauchern dazu, auf Kosmetikprodukte mit natürlichen Wirkstoffen umzusteigen:
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Bereits vor langer Zeit galten pflanzliche Substanzen wie Kräuter als wichtige Heilmittel. Durch natürliche Inhaltsstoffe in Kosmetika wird die Haut langfristig geschont – davon profitiert der Mensch. Trotzdem existieren immer noch Vorurteile gegenüber Naturkosmetik. Viele Konsumenten stellen in Frage, dass Naturprodukte genauso effektiv sind wie konventionelle Kosmetika.

Janika Zahn, Mitarbeiterin beim Naturkosmetikhersteller Benecos meint dazu: „Natürlich gibt es viele Produkte, die noch nicht dem gleichen Standard entsprechen.“ Das gelte besonders für die Wirkungsdauer von Deos oder die Haltbarkeit von Nagellacken. Aber nicht alle Naturkosmetikartikel seien deswegen gleich schlechter, so Zahn. Es gebe auch Produkte, die besser performen als die konventionelle Alternative.
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Auch der Preis von Naturkosmetik spielt für viele Verbraucher eine entscheidende Rolle, wie 2017 eine Statista-Umfrage zeigte: 37 Prozent der Befragten gaben an, für Naturkosmetik nicht mehr ausgeben zu wollen als für konventionelle Kosmetik. Immerhin knapp die Hälfte war bereit, für die natürliche Alternative bis zu 20 Prozent mehr zu bezahlen. Aber ist Naturkosmetik wirklich teurer als konventionelle Produkte?

2010 waren die Preise für Naturkosmetik tatsächlich höher als für Konkurrenzprodukte, erklärt Zahn. Heute sehe es jedoch anders aus: Den Herstellern gelänge es, beim Preis mit dem konventionellen Markt mitzuhalten.
Auch das Verbrauchermagazin Ökotest zeigte bereits 2015, dass Naturkosmetikprodukte inzwischen in allen Preissegmenten zu finden sind. Außerdem hat sich der Zugang zur Naturkosmetik verbessert: Konsumenten können die Artikel heute sowohl in Fachgeschäften und Apotheken als auch in Drogeriemärkten kaufen.
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Beim Kauf von Naturkosmetik ist allerdings auch Vorsicht geboten: Häufigen werben konventionelle Kosmetikhersteller mit pflanzlichen Inhaltsstoffen oder suggerieren mit ihren Verpackungen ein nachhaltiges Produkt. Vertrauen kann der Kunde darauf aber nicht – in einer vermeintlich natürlichen Aloevera-Creme können beispielsweise nur Spuren des natürlichen Wirkstoffs enthalten sein. Das bestätigt auch die Verbraucherzentrale.

Eine 2018 durchgeführte Umfrage der Online-Plattform Utopia bestätigt, dass sich viele umweltbewusste Konsumenten deshalb auf spezielle Siegel verlassen: Über die Hälfte der rund 2.400 Befragten gaben an, beim Kauf von Naturkosmetik auf explizite Zertifizierungen zu achten. Nur jedem Fünften reicht die Bezeichnung „Naturkosmetik“ auf der Verpackung.

Allerdings sollten Käufer sich nicht täuschen lassen. Einige Firmen versuchen ihre Artikel zertifiziert wirken zu lassen und drucken dafür sogar eigene Labels ab. Deshalb ist es besonders wichtig, nur namenhaften Siegeln zu vertrauen. 
Die bekanntesten davon sind das BDIH-, das COSMOS- und das NATRUE-Siegel. Obwohl jedes Siegel eigene Standards hat, sind bestimmte Inhaltsstoffe bei fast allen verboten. Dazu gehören laut der Verbraucherzentrale Silikone, Erdöle, Paraffine, Plastikteilchen und Farbstoffe.



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Die repräsentative Utopia-Studie „Das gute Leben“ ergab, dass über 60 Prozent der bewussten Konsumenten mindestens einmal im Monat Naturkosmetik kaufen.
Und mit der wachsenden Nachfrage nach natürlicher Kosmetik steigt auch das Angebot auf dem Markt – das zeigen Zahlen des Marktforschungsinstituts RKI und lassen die Hersteller von Naturkosmetik in eine vielversprechende Zukunft blicken.
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Morgens ein Salamibrötchen, mittags eine schnelle Bratwurst auf die Hand und abends, nach einem langen Tag, ein Schnitzel. Die Deutschen konsumieren viel Fleisch. Zu viel. Pro Kopf wird mit rund 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr gerechnet – ein Wert, der deutlich über dem empfohlenen Mindestverzehr liegt. Darunter leiden Gesundheit und Umwelt. Eigentlich ließe sich das ganz einfach ändern.

Man hört es immer und immer wieder: „Rettet unseren Planeten!“ Klimaschutz-Demonstrationen wie Fridays for Future sind bereits Alltag. Das Bewusstsein ist also da. Auf den ersten Blick klingt das doch gar nicht so schlecht, aber dennoch fragen sich viele Menschen: Wie soll ich, als einer von sieben Milliarden Menschen, die Welt retten? Bin ich, als Einzelperson, überhaupt von Bedeutung? Kann ich überhaupt einen Beitrag leisten, um unsere Umwelt zu verbessern? Die Antwort auf die Fragen lautet ganz klar: JA!
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Laut dem Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, geht der Fleischkonsum bei den Deutschen stetig zurück. Im Jahr 2019 verzehrten 28 Prozent der Bevölkerung täglich Fleisch, 2018 waren es 30 Prozent, 2017 sogar noch ganze 34 Prozent. Liegt das an einem sensibleren Bewusstsein für eine fleischarme Ernährung?
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Prof. Dr. Iris Lewandowski bejaht. Sie ist Agrar- und Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Hohenheim. Die Forscherin beschäftigt sich seit Jahren mit der Bioökonomie und den Rohstoffen, die für eine nachhaltige Wirtschaft relevant sind.

Die Bioökonomie befasst sich unter anderem mit einer zukunftsorientierten Ernährung. Eine der großen Herausforderungen der Zukunft besteht darin, immer mehr Menschen zu ernähren und dabei gleichzeitig regenerative Ressourcen für eine dauerhafte Energieversorgung sowie Rohstoffe für vielfältige industrielle Prozesse bereitzustellen. Das erfordert Wertschöpfungsnetze, die eine nachhaltige Nutzung der regenerativen Ressourcen, insbesondere von Biomasse, ermöglichen. Auch die Massentierhaltung in der Fleischindustrie spielt hier eine Rolle: Rund 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU werden derzeit für den Anbau von Tierfutter genutzt.

„Unser Anspruch ist es, so viel wie möglich zu tun, um die Produktion im Agrarsektor nachhaltiger zu gestalten, und um eine nachhaltige und bioökonomische Zukunft zu sichern“, erklärt Lewandowski. Aber allein die Forschung reiche nicht, um eine Innovation umsetzen zu können. Man brauche die Mithilfe der Konsumenten, die auch gewillt sind, neue Produkte anzunehmen. Sonst könne sich die beste Innovation am Markt nicht halten.

Bildnachweis: Universität Hohenheim / Angelika Emmerling
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Über die Fleisch-Thematik sind die meisten Verbraucher bereits bestens informiert, an Aufklärung mangelt es keineswegs, beschreibt Prof. Lewandowski. „Die Leute wissen, dass die Massenproduktion an Fleisch alles andere als optimal ist. Dass das billige Grillsteak nicht nachhaltig produziert wird, liegt auf der Hand. Aber dieses Wissen scheint für den Verbraucher viel zu unnahbar. Jedenfalls ist es leider offenbar nicht überzeugend genug“, so die Wissenschaftlerin. Der Konsument greife weiterhin zum billigen Steak. „Der Preis spricht schließlich gegen das ‚teure‘ Bio-Fleisch. Für den Verbraucher an der Theke gilt: Fleisch ist gleich Fleisch, da das bloße Auge keinen Unterschied erkennt“, schlussfolgert die Expertin. Leider bewirkt gerade die billige Produktion von Fleisch eine enorme Verschwendung der Lebensmittel.

Basierend auf Daten aus dem Jahr 2018 landen umgerechnet allein 10,5 Millionen Tiere jährlich im Hausmüll. Erschreckende Zahlen, wenn man bedenkt, dass wir in einer Zeit leben, in der in industriellen Ländern theoretisch keine Lebewesen mehr für die menschliche Ernährung vorsätzlich leiden oder sterben müssten. Gesellschaftlich sind wir aber noch lange nicht so weit.
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Bewirkt das Argument der Nachhaltigkeit kein Umdenken, so könne man versuchen, die Menschen mit moralischen Aspekten zu einem bewussteren Lebensstil zu bewegen. Beim Fleisch ließe sich das Wohl der Tiere in den Mittelpunkt der moralischen Debatte stellen und zum Beispiel fragen, ob es moralisch vertretbar sei, Tiere zu „produzieren“, sagt die Professorin. „Schließlich handelt es sich bei einem Lebewesen, welches gequält werden kann und Leid empfinden kann, um eine andere Dimension als bei einer Pflanze“, so Lewandowski. Und mal ganz ehrlich: Welcher Mensch würde dem süßen Lämmchen vom Bauernhof kein glückliches Leben wünschen? Wer würde freiwillig den qualvollen Tod des kleinen Kälbchens in Kauf nehmen, nur um ein Stück Fleisch auf dem Teller liegen zu haben? Wenn man so fragt, sicherlich kaum jemand.


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Allerdings zeigen die Zahlen zum Fleischkonsum, dass in der Wirklichkeit bislang Werte wie Tierwohl und Moral den Konsumenten nicht ausreichend überzeugen. Die Argumente reichen den Verbrauchern nicht, um sich für das teurere, nachhaltigere Fleischprodukt zu entscheiden – geschweige denn ganz auf Fleisch- und Tierprodukte zu verzichten. Nun sei es ja auch so, dass sich diesen teuren „Luxus“ nicht jeder leisten kann. Ist das unfair?

„Auf keinen Fall“, behauptet Lewandowski. Dieses Argument sei für die Wissenschaftlerin nur eine Ausrede. Denn wenn man wirklich einen Wert auf qualitative Produkte legen würde, so würde sich sicherlich eine Lösung finden. „Statt vier Mal wöchentlich billiges Fleisch zu kaufen, könnte man auch einmal teures Fleisch kaufen, welches man dann guten Gewissens genießen könnte“, so Lewandowski.
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Während die Wissenschaftlerin eine Vertreterin für verantwortungsbewussten Fleischkonsum darstellt, nimmt Prof. Dr. Markus Keller eine ganz andere Haltung ein. Er ist Ernährungswissenschaftler am Institut IFANE (Institut für Alternative und Nachhaltige Ernährung). Keller selbst ernährt sich bereits seit jungen Jahren überwiegend vegan. Der Experte ist überzeugt: „Man muss weder vegetarisch noch vegan leben, um den optimalen Nutzen für sich selbst und unsere Umwelt zu gewinnen. Dennoch sollte man eine gesunde Mischkost, mit einem möglichst geringen Anteil an tierischen Produkten zu sich nehmen.“

Keller beschreibt ein ethisches Dilemma. Ist eine fleischfreie Ernährung überhaupt so gut, wie man denkt? Schließlich hat auch der biologische Kreislauf der Natur seinen Sinn. Wenn kein Lebewesen mehr sterben würde, so würde das schließlich zu einer Überpopulation führen – Tier und Mensch hätten weder genügend Nahrungsmöglichkeiten noch ausreichend Raum zum Leben. Es ist also ohnehin unmöglich zu leben, ohne dabei anderen Lebewesen zu schaden. Geht es um einen ‘Schaden‘, so denken die meisten Menschen sofort an das Schlachten von Tieren. Somit werden allein die Fleischkonsumenten verantwortlich gemacht und von Fleisch-Gegnern sogar als Mörder dargestellt. 
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Denkt man etwas weiter, dann kommt man jedoch zu dem Entschluss, dass jedes Leben ein gewisses Leid verursacht. Denn auch niedere Tiere wie Insekten, Pflanzen und der Boden, Flüsse und das Klima sind schützenswert und werden durch den Anbau von Nahrungsmitteln vertrieben oder vernichtet. Jede Art von Ernährung schafft Leid, denn um zu Essen, müssen wir anderen immer etwas wegnehmen. Entweder schaden wir Tieren, Land oder anderen Menschen. Jedoch sollte man sich die Frage stellen, wie man die eigene Ernährung optimieren kann, um dabei den besagten Schaden zu reduzieren. „Ich muss keine Tiere essen oder nutzen, um mich gut ernähren zu können. Ich habe die Möglichkeit, dieses Leid zu vermeiden“, erklärt Keller.
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Aus eigener Forschung am Institut IFANE konnte Keller beweisen, dass eine vegane oder vegetarische Ernährung keine gesundheitlichen Risiken mit sich bringt. Ebenfalls nicht bei Kindern und damit widerlegt der Wissenschaftler zugleich einen der bekanntesten Mythen über eine fleischfreie Ernährung. Auch die Angst vor einem Nährstoff-Mangel ist laut Keller völlig unbegründet. Gerade das berüchtigte Vitamin B12, welches überwiegend in Fleischprodukten enthalten ist, soll in pflanzenbasierten Produkten nicht ausreichend vorkommen. Doch zahlreiche Alternativen helfen, die Vitamin B12-Zufuhr zu sichern, erläutert Keller. „Es gibt unzählige Nahrungs-ergänzungsmittel in Form von Tabletten, Tropfen oder speziell angereicherten Lebensmitteln. Es gibt sogar eine Vitamin B12-Zahncreme.“

Trotzdem: Die Vorurteile gegenüber Veganismus und Vegetarismus bleiben. Kann ich jetzt nur noch Salat und Rohkost essen? So ist es natürlich nicht. „Man sollte den Menschen die Angst nehmen, ihnen das Positive zeigen und es ihnen so leicht wie möglich machen“, meint der Professor. So könnte man die Menschen beispielsweise mit Kochrezepten inspirieren, Alternativen vorstellen und so dem Vorurteil, eine vegane Ernährung sei eintönig und langweilig, entgegenwirken. Denn eine vegane und vegetarische Ernährung kann ganz gewiss vielseitig sein! Zu den beliebten Fleisch-Klassikern wie Burger, Grillwurst und Co gibt es bereits fleischfreie Alternativen. Insbesondere Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen und Bohnen sind ein echter Hit. Hinzukommt: Hülsenfrüchte sind nicht nur vegan und enthalten nährstoffreiche Vitamine, sie sind auch noch preisgünstig. Das Argument, eine vegane oder vegetarische Ernährung sei kostspielig, wird hier also auch entkräftet.
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Einen ähnlichen Vorschlag bringt auch Prof. Dr. Lewandowski für diejenigen, die nicht ganz auf Fleisch verzichten möchten. „Es muss mehr Transparenz geschaffen werden“, so die Wissenschaftlerin. Transparenz in Form von Labels und Orientierungshilfen, die für den Konsumenten kennzeichnen, woher das Fleisch kommt und wie es produziert worden ist. Denn dadurch soll die Produktion verantwortungsvoller gestaltet werden.

Doch nicht nur bei der Fleischproduktion, auch in vielen anderen Wirtschaftsbereichen fehlt es an Transparenz, wenn es um die Nachhaltigkeit geht. Das muss sich ändern. 
„Bioökonomie muss verständlich gemacht werden“, erklärt Lewandowski. Auch sollte man schon viel früher über bioökonomische Aspekte aufklären und Kindern durch Bildung früh genug ein Bewusstsein aneignen.
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Eine Innovation auf dem Lebensmittelmarkt sind aus Insekten hergestellte Lebensmittel. Diese stellen eine Alternative zu herangezüchteten Tieren dar und enthalten zudem wichtige Nährstoffe, wie hochwertige Eiweiße, ungesättigte Fettsäuren und Mineralien.
Auch sogenanntes Laborfleisch wird immer besser erforscht. Hierbei wird Fleisch künstlich in einem Labor hergestellt, ohne dass dabei ein Tier sterben muss. Dieser Fleischersatz ist klimafreundlicher und zudem frei von Medikamenten und Zuchtmitteln. Interessant ist hierbei, dass laut dem Ernährungsreport sogar ein knappes Drittel der Bevölkerung grundsätzlich offen für alternative Fleischarten ist, um einen Beitrag zur Ernährungssicherheit zu leisten.
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Dennoch liegt zwischen Wille und Tat oft eine beträchtliche Kluft. Zudem beurteilt Lewandowski die Problematik rund um die Fleischproduktion als ein politisches Problem. Landwirte sollen davon abgehalten werden, Fleisch so billig zu produzieren und zu verkaufen. Aber was bleibt ihnen anderes übrig, wenn die Marktgegebenheiten eine nachhaltige Produktion nicht hergeben?

„Da müsste man politisch gesehen viel mehr tun. Es müssen strikte Grenzen gesetzt werden, auch wenn das hart und unpopulär ist. Man muss eine derartige Produktion entweder radikal verbieten, oder die Regeln so aufstellen, dass der Landwirt auch mit einer nachhaltigen Produktion überleben kann“, erklärt die Agrarwissenschaftlerin der Uni Hohenheim. Gleichzeitig müsse es ihrer Einschätzung nach einen Preis für den Service ethisch besser hergestellter Lebensmittel geben, der höher ist, als das billig produzierte Fleisch. 

Letztendlich muss jeder für sich entscheiden, welche Art von Ernährung für ihn optimal ist. Und auch, wie er mit einem bewussteren Handeln einen Beitrag für unsere Umwelt leisten kann. Es kommt nicht darauf an, streng vegetarisch oder vegan zu leben. Viel bedeutsamer ist es, mit kleinen Schritten und Veränderungen zu einem bewussteren Lebensstil beizutragen. Denn so ist es tatsächlich möglich, ohne Reue und guten Gewissens zu genießen.
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Mails verschicken, Unterlagen in Clouds aufbewahren, Urlaubsfotos speichern, gemeinsam von weit entfernten Orten aus an einem Vortragsdokument arbeiten – mit nur einem Klick und supereinfach erschließt uns das Internet Welten, denen wir uns bedenkenlos hingeben können. Ein Irrtum. Denn es hat auch Folgen für die Umwelt.

Hinter der digitalen Bequemlichkeit der Clouds verbergen sich Unmengen an Zahlen, Codes, Servern und Rechenzentren. Cloud Computing bezeichnet onlinebasierte Speicherplätze und Rechenleistungen. Diese Technik ermöglicht uns, Daten auszulagern und bei Bedarf auf sie zurückzugreifen – via Smartphone, Tablet oder Computer. Das schont die eigene Festplatte, erspart Schränke voller Aktenordner.

Aber: Wo das Material wirklich landet, auf welchem Server es ist, bleibt für viele Nutzer im Nebel – oder eben, der Begriff Cloud beschreibt es: in den Wolken. Rechenzentren sind quasi der Wolkenmaschinenpark – Orte voller Computer, Speicher, Kühl- und Brandschutzgeräte. Dort treffen über Mobilfunkantennen unsere Internet-Anfragen ein, 24 Stunden, 365 Tage lang, unermüdlich werden sie hier verarbeitet.


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Gerade in Zeiten, in denen die Welt enger zusammenrückt und der transkontinentale Austausch immer wichtiger wird, erlebt das Cloud Computing seinen Höhepunkt. Ein wichtiger Faktor, der häufig ausgeblendet wird: Auch unser Leben im Internet braucht Energie. Energie, die weit über das Aufladen unserer Endgeräte hinausgeht. Jede Datei, jede Suchanfrage wird verwaltet, gespeichert und von Server zu Server geleitet. Dabei werden Unmengen an Energie verbraucht. Wäre das Internet ein Land, hätte es den sechstgrößten Stromverbrauch weltweit – und läge damit noch vor Deutschland, meint die Umweltorganisation Greenpeace.
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Nach wie vor generieren fossile Brennstoffe jedoch einen großen Teil des deutschen Stroms. Braun- und Steinkohle, sowie Kernenergie und Gasverbrennung erzeugten in 2019 rund 54 Prozent des deutschen Nettostroms – trotz des „Erneuerbaren Energien Gesetzes“ (EEG) des Bundes, welches die Stromförderung aus regenerativen Quellen unterstützt. Lediglich der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden vorübergehenden Schließung von vielen Industrien ist es zu verdanken, dass in 2020 bisher erstmals über die Hälfte des generierten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt.
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Ein höherer Internetkonsum verbraucht also mehr Rechenleistung in den Rechenzentren und diese benötigen wiederum mehr Strom. Strom, der zu Lasten unserer Umwelt erzeugt wird. Im Zuge der Digitalisierung werden daher auch immer mehr Stimmen laut, die eine nachhaltige Gestaltung der digitalen Zukunft fordern. Zwei Bestreben, die eng miteinander verknüpft sein sollten, findet Dr. Ralph Hintemann vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. „Wenn wir in einer Rezession die Wirtschaft ankurbeln wollen, dann sollten wir so fördern, dass wir gleichzeitig die Ziele Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit verfolgen.“

Nachhaltige Digitalisierung – geht das? Für die Vereinten Nationen (UN) definitiv, denn sie haben bereits 2015 im Zuge der Agenda 2030 einen Katalog mit 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Dieser betrachtet unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten die fünf Kernbotschaften Mensch, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft. Unter anderem sollen Maßnahmen zum Klimaschutz und zu bezahlbarer und sauberer Energie ergriffen werden. Auch Industrie, Innovation und Infrastruktur sind ein Teil des Nachhaltigkeitsplans der UN.

Wie nun aber diese auf politischer Ebene geschlossenen Vereinbarungen praktisch umgesetzt werden können, ist noch nicht ganz klar. Trotzdem gibt es deutschlandweit bereits einige Pilotprojekte, die sich mit einer nachhaltigeren Digitalisierung, insbesondere mit nachhaltigen Rechenzentren auseinandersetzen.
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Ein Beispiel dafür ist das in Dortmund ansässige Unternehmen GreenIT - Das Systemhaus mit seiner eigenen „GreenIT Cloud“. Gemeinsam mit WestfalenWind aus Paderborn möchte man ein Rechenzentrum schaffen, das klimaneutral betrieben wird, also ein „wirklich grünes Rechenzentrum“, so Geschäftsführer Jan Schriewer. Dafür werden die Rechenzentren von GreenIT direkt in Windkraftanlagen integriert. Diese versorgen die hochkomplexen Server mit der benötigten Energie, ohne den Weg über das Stromnetz zurücklegen zu müssen. Im Vergleich zu anderen Rechenzentren vermeidet man so Transportwege und Mietkosten für externe Gebäude, meint Schriewer. Die benötigte Energie werde schließlich direkt am Verbraucher produziert und abgenommen.

So spart zum einen das Unternehmen selbst, aber auch als Kunde zahlt man für die Kilowattstunde weniger als bei anderen Anbietern. Das ist auch gut so, meint Schriewer: „Wenn das ökologisch betriebene Rechenzentrum bzw. die dort betriebenen Services merklich teurer wären als beim klassischen Betreiber, dann wäre es in der heutigen Zeit schwierig, neue Kunden zu gewinnen.“ Denn es lässt sich auch erkennen, dass nachhaltige Lösungen nicht nur aus Überzeugung zum Umweltschutz gewählt werden. „Die Nutzung von grüner IT ist für Unternehmen ein wichtiges Positionierungsmerkmal. So zeigen sie ihren eigenen Kunden, dass sie nicht nur umweltbewusst denken, sondern auch handeln.“
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Dennoch sind Lösungen wie die GreenIT Cloud eine Ausnahme. Ein Grund dafür: fehlende Infrastruktur. Computer, Stromleitungen und Kühlprozessoren sind unabdinglich. Das ist der Punkt, an dem die Politik ansetzen sollte, so Schriewer. Sie müsse bei der Beschaffung helfen und die Infrastruktur ausbauen. Außerdem müsse man die Menschen für ein Umdenken sensibilisieren und Anreize schaffen, ökologisch zu handeln.

„Eine stabile und zuverlässige Infrastruktur ist auch ein Nachhaltigkeitsthema“, stimmt Hintemann zu, „und Rechenzentren müssen ein Teil davon sein.“ Laut ihm gehöre der Ausbau von Wärmenetzen zur Abwärmenutzung auch auf die politische Agenda. Denn der Anschluss von Rechenzentren an diese Netze ist in Deutschland sehr schwer. Während es hier viele Hochtemperatur-Wärmenetze mit Temperaturen von bis zu 100 Grad gibt, erreicht die Abwärme aus Rechenzentren lediglich Temperaturen von 30 bis 35 Grad.

Der Energieaufwand, um diese Abwärme zu erhitzen, sodass man sie in die vorhandenen Netze einspeisen kann, sei zu aufwendig und zu teuer, gibt Hintemann zu bedenken. „Es wäre billiger, Gas zu verbrennen, um die nötige Wärme zu erhalten, als mit einer Wärmepumpe zu arbeiten.“ Ein möglicher Lösungsansatz sei hierbei die Umstellung auf Flüssigkühlung. So könnten Wassertemperaturen von bis zu 60 Grad bereitgestellt werden, welche deutlich leichter für Heizzwecke zu nutzen seien, so Hintemann. Aber auch dafür seien die deutschen Netze noch nicht ausreichend ausgebaut.
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Die großen Elektronikhersteller und die Werbebranche reizen uns ständig mit schnelleren, besseren und teureren vernetzten Endgeräten. Aber unter unserem Bedürfnis, immer das neuste Gerät besitzen zu wollen, leidet die Lebensdauer unserer Endgeräte. Immer öfter landen Smartphones, Laptops und Co im Elektromüll. Dabei vernetzen immer mehr Menschen beinahe ihren gesamten Haushalt. Hintemann warnt dabei: „Der Zusatzaufwand durch die Vernetzung darf nicht zu groß werden.“ Besser sei es, schlankere Endgeräte zu nutzen und mehr Rechenleistung in Rechenzentren zu verlagern. Dadurch verlängere sich die Lebenszeit der Geräte.
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Aber wer soll diese gewaltigen Datenmassen verarbeiten? Die IT-Branche hat eine Lösung: die Künstliche Intelligenz (KI). Sie soll unter anderem dabei helfen, Prozesse zu optimieren, neue Klimamodelle zu erstellen oder den Ressourcenverbrauch effizienter zu gestalten. Mehr Daten bedeuten außerdem mehr Anwendungsbereiche für die KI. Langfristig kann man so große Fortschritte in Richtung einer nachhaltigen, grünen Informationstechnik machen. Das Problem ist der Weg dahin. Die KI ist eine der größten Treiber des Energieverbrauchs in Rechenzentren. Laut einer Studie der University of Massachusetts Amherst emittiert das Trainieren und Programmieren einer einzelnen KI in etwa so viel CO2 wie fünf Autos.

„Mit der KI verhält es sich, wie mit der Digitalisierung insgesamt“, fasst Hintemann zusammen. „Wir müssen es schaffen, die KI so einzusetzen, dass sie zu mehr Nachhaltigkeit führt und nicht zu mehr Ressourcenbedarf.“ Eine Möglichkeit dafür ist spezielle, energieschonendere Hardware – besondere Grafikkarten zum Beispiel. Außerdem könnte man beim Betreiben von KIs auf spezielle flüssiggekühlte Server setzen. Solche setzen bereits großen Unternehmen wie Google ein. Insgesamt stellt die Künstliche Intelligenz einen großen Treiber für die Digitalisierung dar. Es gibt immer mehr Rechenzentren speziell für KIs. Abzuwägen ist, ob der enorm hohe Energiebedarf mit dem eventuell positivem Nutzen für Gesellschaft und Umwelt zu rechtfertigen ist.
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Bis zu acht Prozent des weltweiten Stromverbrauchs könnte der Energiebedarf von Rechenzentren in zehn Jahren ausmachen. Das wäre drei- bis viermal so viel wie heute. Ein „Worst-Case-Fall“, meint Hintemann. Dennoch ist der Anstieg des Energiebedarfs für unser Internet enorm. Und in einem digitalen Zeitalter und einer Welt, die sich immer weiter vernetzen will, bleibt die Frage nach dem wie.

Wie kann der gewaltige Riese Internet von uns gefüttert werden und gleichzeitig fortschrittlich und nachhaltig sein? Kann man all das allein mit erneuerbaren Energiequellen generieren? „Es ist eine Herausforderung“, konstatiert Hintemann. Man hoffe auf einen starken Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien. „Alle sind sich einig, dass man die Digitalisierung nicht aufhalten kann“, meint Hintemann, „aber letztendlich muss die Digitalisierungspolitik eine Nachhaltigkeitspolitik sein.“
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Wohnung sind knapp und kaum noch bezahlbar. Das veranlasst immer mehr Menschen, sich über alternative Wohnkonzepte Gedanken zu machen. Eines davon sind Tiny Houses. Das sind kleine Häuser auf Rädern, die man sogar umziehen kann. Aber auch weitere alternative Wohnmodelle, wie z.B. Ökodörfer rücken ins Blickfeld. 

Ida Johansson hat sich für ein Leben im Tiny House entschieden. Sie lebt in einer Bilderbuchwelt: Durchs Küchenfenster blickt sie auf Wiesen und Felder. Ihr Kater Theo streicht ihr um die Beine, während sie sich Kaffee aufsetzt. Die Sonne scheint ihr ins Gesicht. Ida lächelt. Inspiriert vom Minimalismus beschloss sie, auf ein Feld in Norwegen zu ziehen. Doch nicht nur in Norwegen wächst dieser Trend. In Deutschland gibt es die Häuser mit einem Grundriss von durchschnittlich 20 Quadratmetern seit 2016. Einer der ersten und größten deutschen Hersteller ist die Schreinerei Diekmann aus Hamm.  
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Auch nach anderen alternativen Wohnmodellen, wie zum Beispiel Ökodörfern, steigt die Nachfrage. Der Trend als solcher ist nicht neu. Eines der ersten deutschen Ökodörfer ist das Sieben Linden in Sachsen-Anhalt. In dem 1997 gegründeten Dorf leben heute rund 150 Menschen. Sie versorgen sich bis zu 70 Prozent selbst mit Strom, bauen Obst und Gemüse selbst an, nutzen Car-Sharing, um Verkehr und Umwelt weniger zu belasten, und anstatt in die nächste, 30 Kilometer entfernte Stadt zu fahren und dort die Freizeit zu verbringen, werden im Dorf gemeinsame Aktivitäten unternommen.

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Das Ziel der Dorfgemeinschaft ist global: soziale und globale Gerechtigkeit zu erreichen. Dies bedeutet, nur so viele Ressourcen zu verwenden, dass genug für andere Menschen auf der Welt zur Verfügung stehen, erklärt Christoph Strünke: „Das ist meiner Meinung nach auch das, was unter dem Begriff Nachhaltigkeit gemeint sein sollte.“ 

Er lebt seit 18 Jahren im Dorf. Dort habe man das „Ziel, den Energie- und Ressourcenverbrauch so weit zu reduzieren, wie es möglich ist, dass es trotzdem ein gutes Leben ist, aber nicht ein Überfluss“. Strünke will das Gesamte im Blick haben: „Alles was wir tun hat auch Einfluss auf die Menschen, mit denen wir nicht direkt zusammenwohnen. Ich versuche in dem, was ich tue, förderlich zu sein, zum Beispiel Lebensbedingungen zu fördern, die gut sind.“
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Die meisten Tiny Houses bestehen zu einem großen Teil aus Holz. Dadurch sind sie langlebig, besitzen wenig Schadstoffe und können außerdem problemlos wieder entsorgt werden. Und auch bei den Bewohnern der Sieben Linden spielt Holz eine wichtige Rolle. Das Holz kommt teilweise aus dem eigenen Wald und wird zusammen mit Lehm und Stroh zum Erbauen der Häuser genutzt. Diese Rohstoffe können wieder recycelt werden und kommen aus der direkten Umgebung. Die sogenannten Strohballenhäuser sind die Ersten ihrer Art in Deutschland. Durch das Stroh, welches mit Lehm bedeckt wird, sind die Wände dicker als beim konventionellen Hausbau.

Die Kosten für Strohballenhäuser liegen bei 1.300 bis 1.600 Euro pro gebauten Quadratmeter; ein Tiny House mit rund 20 Quadratmetern Fläche kostet durchschnittlich 60.000 Euro, also 3.000 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche. Dazu kommen zusätzlich noch die Kosten für den Stellplatz des Hauses. Zwar werden die Häuser oft als günstige Alternative zu den steigenden Mietpreisen dargestellt, aber letztlich rechnet sich das erst, wenn man alle Faktoren einrechnet: gewünschte Wohnfläche, Standort, ökologische Bilanz.
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Ein spezielles Problem bei den Tiny Houses ist: wohin mit dem Haus? Es fehlen Stellflächen. Steht das Haus nicht auf einem Campingplatz oder einem Anhänger, benötigt man ein Baugrundstück inklusive Bauantrag. Aufgrund der verschiedenen Verordnungen muss das Haus dann anders gebaut werden. So muss bei einem Bauantrag die Energiesparverordnung berücksichtig werden. Diese Verordnungen variieren von Bundesland zu Bundesland. Das macht die Herstellung schwieriger, insbesondere für bundesweit arbeitende Produzenten.

„Es ist noch ein sehr junges Thema. In der Phase sind wir noch, den Nachweis zu erbringen, dass es ein dauerhaftes Thema ist und nicht irgendwie ein Hype oder Trend, der in drei Jahren wieder vorbei ist. Wenn das in der Politik ankommt, dann wird sich in Zukunft sicherlich auch was an der Baugesetzordnung tun“, meint Vera Lindenbauer, Sprecherin der Schreinerei Diekmann.
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Grundsätzlich gilt jedoch: je kleiner die Wohnfläche, desto geringer die Kohlendioxid-Emmisionen. Laut Bundesumweltamt betrug 2019 der durchschnittliche Kohlendioxid-Wert von Heizung und Stromversorgung in Deutschland für eine Person circa 2,5 Tonnen. Insbesondere Einfamilienhäuser haben oft viel überflüssigen Wohnraum, wie beispielsweise einen großen Dachboden, welcher aber trotzdem beheizt werden muss. Im Gegensatz dazu wird in einem Tiny House jeder Quadratmeter effizient genutzt. So ist in der Treppe oft ein Schrank integriert oder man kann die letzte Treppenstufe als Hocker verwenden. Dies spart nicht nur den Ressourcenverbrauch. Da der vorhandene Stauraum deutlich reduziert ist, verkaufen die meisten Bewohner beim Umzug in ein Tiny House meist mehr als die Hälfte ihres Besitzes.

Durch die begrenzte Wohnfläche verringert sich gezwungenermaßen auch das Konsumverhalten: „Das ist wahrscheinlich auf lange Sicht der größte Beitrag zur Nachhaltigkeit“, so Lindenbauer. Allerdings ist auch hier die Gesamtsicht wichtig: Um mobil zu sein, darf ein Tiny House nach der Straßenverkehrsordnung maximal 3,5 Tonnen wiegen. Deswegen werden die Wände gerne dünn und ohne genügend Dämmstoffe gebaut, was wiederum zu höheren Heizkosten führt.
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Der Großteil der Tiny-House-Bewohner betrachtet den Umzug in ein solches Wohnfeld als eine Lebenseinstellung, einen Ausdruck des Minimalismus. Aber man muss tatsächlich bereit sein, sich auf lange Sicht zu beschränken. Vera Lindenbauer hat schon öfter die Erfahrung gemacht, dass anfängliches Interesse der Kunden nicht mit dem Minimalismus vereinbar war. „Ansonsten kann ich alles, was ich normal auch habe, in einem anderen Maßstab auch in einem Tiny House umsetzten. Das müssen aber intelligente Lösungen sein.“ Möchte der Kunde eine große Küche, muss das Bad kleiner werden oder der Schlafbereich enger.

Vielfach werden die Tiny-Häuser in Deutschland gar nicht als Hauptwohnsitz genutzt. Ein Großteil der Kunden der Schreinerei Diekmann sind momentan aus dem gewerblichen Bereich, sie sehen das Tiny-House-Movement als Profit- und Präsentationsmöglichkeit. Unternehmen nutzen das Haus als Showroom auf Messen, Campingplatz-Betreiber bieten die Mini-Häuser zur Vermietung an. Die meisten Häuser werden als Feriendomizil genutzt.Unterm Strich wird damit das Kernziel der Nachhaltigkiet auf den Kopf gestellt: So werden eher zusätzliche Ressourcen verbraucht.

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Sind solche alternativen Wohnkonzepte also eher ein kurzer Trend oder eine langfristige Alternative zu konventionellen Wohnarten? Vera Lindenbauer hat dazu eine klare Meinung: „Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass es nicht nur ein Trend ist. Erstmal wäre das schon ein sehr langer Trend, denn das Interesse und die Nachfrage reißt einfach nicht ab. Und auch in anderen Ländern hat es sich verfestigt. Menschen wollen definitiv anders wohnen“.
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Solidarische Landwirtschaft

Solidarische Landwirtschaft (Solawi) ist in Deutschland im Kommen – auch in Würzburg. Für einen festen Monatsbeitrag bekommen Verbraucher einen Ernteanteil von regionalen Erzeugern. Vorteile gibt es für beide Seiten.
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Wenn die 27-jährige Henriette montags einkaufen geht, läuft sie am Lebensmitteldiscounter und auch am Biomarkt vorbei. Ihr Ziel: der Laden der Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaft (VEG) Würzburg. Mit einem Zahlencode öffnet sie die Tür, im Laden wartet eine Gemüse- und Obstkiste auf sie. Gefüllt mit dem Ernteanteil, der ihr als Mitglied der Würzburger Initiative "SoLaWü" zusteht. Im Gegenzug zahlt sie den beiden regionalen Erzeuger, die ihre Kiste bestücken, einen fixen Monatsbetrag. Dahinter steht das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft: Mehrere private Haushalte finanzieren mit festen Beiträgen die Landwirtschaft eines Erzeugers und erhalten dafür einen Teil der Ernte.
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 „Ich habe mich noch nie so bewusst und gesund wie letztes Jahr ernährt“, sagt Henriette, die von Anfang an dabei war, als SoLaWü Anfang 2019 als Teil der VEG Würzburg gegründet wurde. „Das ist unverpacktes Gemüse und Obst der Saison, das aus maximal 20 Kilometer Entfernung herkommt und biologisch angebaut wurde. So ein Rundum-Sorglos-Paket kann kein Supermarkt bieten. Selbst in Bioläden wird ja oft nicht auf alles gleichzeitig geachtet.“ Was und wieviel sie in der Kiste findet, hängt immer davon ab, welche Ernte die Erzeuger auf ihren Feldern gerade einbringen.

Preislich ergibt sich für den Verbraucher trotz des Festbetrags ein Vorteil. Weil er die Produkte direkt vom Erzeuger erhält, entfallen Aufschläge von Lieferanten und Einzelhandel. 2019 lag die Marge, die der Naturkostfachhandel mitverdient, laut ContRate-Betriebsvergleich bei durchschnittlich 34,6 Prozent. Mit Solawi zahlt der Verbraucher deswegen über das Jahr hinweg weniger, als wenn er die gleiche Menge Gemüse und Obst bei einer Biomarkt-Kette einkaufen würde. Sowohl der Preis als auch der Ernteplan werden auf einer Versammlung am Anfang eines Jahres festgelegt. Die Erzeuger schlagen vor, was und wieviel sie anbauen wollen und nehmen Vorschläge und Wünsche der Verbraucher mit auf.
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In Würzburg sorgt der Biohof Oberaltertheim für das Gemüse, die Würzburger Main-Streuobst-Bienen Genossenschaft für das Obst. Dieses Jahr gibt es insgesamt 82 „SoLaWü-Päckle“, wobei eines für einen Zwei-Personen-Haushalt reicht und manche Mitglieder auch nur ein halbes Päckle nehmen. Die beiden Erzeuger teilen ihre Anbaufläche durch die Teilnehmerzahl und berechnen, welche Betriebs- und Lohnkosten sowie Investitionsausgaben für einen Anteil anfallen.  

Dieses Jahr landet in jedem Päckle die wöchentliche Ernte von 136 Quadratmetern Gemüsefeld sowie Obst und Saft von anderthalb Streuobstbäumen. Das können in einer Novemberwoche beispielsweise jeweils ein Kilo Kartoffeln und Möhren, ein Pfund Rote Beete, 120 Gramm Feldsalat, 700 Gramm Schwarzkohl, ein Endiviensalat, eine Stange Rosenkohl und 800 Gramm Äpfel sein. 
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Als Richtwert haben die Erzeuger einen monatlichen Gesamtbetrag von 80 Euro kalkuliert. Allerdings zahlt nicht jedes SoLaWü-Mitglied den gleichen Preis. In einer geheimen Bieterrunde schreibt jeder den Betrag auf, den er zahlen möchte. Wer kann, gibt mehr, wer nicht so viel hat, zahlt weniger. Wichtig ist nur, dass die nötige Summe gemeinsam zusammenkommt – auch das ist mit Solidarischer Landwirtschaft gemeint. Genauso wie die Mitmachtage, an denen freiwillige Helfer die Erzeuger auf dem Feld unterstützen und tatkräftig mit anpacken.

Quelle Bild: VEG
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Menschen wieder nah an die Lebensmittel auf ihrem Teller zu bringen, ist einer der Gründe, warum die Familie Kraus-Egbers-Mosmann als SoLaWü-Erzeuger teilnimmt, sagt David Egbers. Er betreibt seinen Bioland-zertifizierten Hof gemeinsam mit Eltern, Schwester und Schwager. „Es ist wichtig, dass die Leute wieder mitbekommen, wie das Gemüse überhaupt wächst und welche Arbeit dahintersteckt. Dadurch schätzen sie es mehr wert und werfen Lebensmittel auch nicht mehr einfach weg“, so Egbers. Außerdem kann er seinen Kunden beispielsweise erklären, dass der Salat vom Hagelschauer etwas verletzt wurde, aber ansonsten total in Ordnung ist: „Dann verstehen sie das. Im Supermarkt bliebe der Salat einfach liegen.“


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Solawi gibt einem Landwirt zudem Planungssicherheit. So läuft er nicht in Gefahr, auf seiner Ernte sitzen zu bleiben. Beim klassischen Vertriebsweg über den Handel ist das nicht immer gewährt, erzählt der unterfränkische Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV) Stefan Köhler: „Die Marktmacht liegt ganz klar bei den Händlern. Die sichern sich leider oft mit sehr einseitigen Verträgen ab und können die Lieferbedingungen zu ihren Gunsten rückwirkend ändern.“ Der Landwirt stehe da meist in der schwächeren Position.

Zusätzlich sind die Erzeuger von schwankenden Marktpreisen abhängig. Laut des Deutschen Bauernverbands haben Landwirte 2019 ein Fünftel weniger Geld verdient als im Jahr zuvor. Solawi beschert dem Erzeuger hingegen ein festes Monatseinkommen, mit dem er sich und seinen Angestellten einen fairen Lohn zahlen kann – auch wenn die Ernte durch Trockenheit oder Frost mal schlechter ausfällt.
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Noch wandert in Deutschland jeder zweite Euro für Obst und Gemüse nach Erhebungen des Marktforschungsunternehmens Nielsen an die Discounter. Mit momentan 268 Gemeinschaften steckt Solawi noch in den Kinderschuhen. Doch in Deutschland wie auch in anderen Ländern entscheiden sich immer mehr Landwirte für diese Art der Direktvermarktung.
Frankreich führt im europäischen Vergleich mit mehr als 2000 Gemeinschaften die Spitze an. In Japan, wo die Solawi-Idee in den 70er Jahren unter dem Namen „Teikei“ geboren wurde, versorgen sich mittlerweile elf Millionen Menschen nach dem Prinzip. Dennoch: Für Deutschland sieht Stefan Köhler vom BBV klare Grenzen:
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Rapsasphalt

Durch Rapsöl im Straßenbau erhoffte sich ein Franke vor über 20 Jahren schon mehr Klimaschutz. Warum sein „RapsAsphalt“ trotz guter Eigenschaften ein Nischenprodukt blieb.

Das westliche Mittelfranken ist überwiegend ländlich geprägt. Kleine Landstraßen schlängeln sich durch das Taubertal, Äcker wechseln sich mit Wäldern ab. Die A7 und die B13 durchziehen den westlichen Landkreis Ansbach, die restlichen Straßen sind kleine Nebenstraßen. Viel Potenzial für mehr Klimaschutz, findet Klaus Geuder. In Neusitz bei Rothenburg hat seine Straßenbaufirma ihr Büro. Hier in der Umgebung hat Geuder schon mehrere Straßen gebaut und saniert. Viele davon auch mit sogenannten Raps- Bitumenemulsionen, von Geuder als „RapsAsphalt“ vermarktet.
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Vor 20 Jahren brachte der Mittelfranke die Idee, Asphalt mit Zugabe von Rapsöl herzustellen, aus Österreich nach Deutschland und gründete die „Arbeitsgemeinschaft RapsAsphalt“. Seitdem setzt er sich für mehr Nachhaltigkeit im Straßenbau ein. Bislang mit gemischtem Erfolg: „Die Gemeinden als Straßenbaulastträger schauen oft nur auf den Preis. Und wenn man dann mit seinem Produkt ein bisschen teurer ist, dann ist der Umweltgedanke oft dahin“, sagt Geuder.

Er zeigt eine kleine Gemeindeverbindungsstraße, die er mit seiner Firma im vergangenen Jahr mit Rapsasphalt saniert hat. Der Farbton ist etwas heller als das satte Schwarz, das man sonst von Asphalt kennt, ansonsten ist für den Laien kein Unterschied erkennbar. Die Oberflächenbehandlung, die Geuder hier durchführte, ist das bislang einzige Anwendungsgebiet für Asphalt mit Rapsöl-Anteil. „Bei einer Oberflächenbehandlung wird auf die beschädigte Straßendecke nochmal eine Asphaltschicht aufgebracht“, erklärt Geuder. „In diesem Fall aus RapsAsphalt.“
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Der Unterschied zum normalen Asphalt sei deutlich, sagt Dr. Bettina Fink vom Centralen Agrar-Rohstoff Marketing- und Energienetzwerk e.V., kurz C.A.R.M.E.N. Die in Straubing sitzende Koordinierungsstelle für Nachwachsende Rohstoffe wurde 1992 vom Freistaat Bayern gegründet. „Asphalt ist grundsätzlich erstmal eine Mischung aus Bitumen und Gestein. Bitumen ist ein Produkt, das bei der Erdöldestillation entsteht“, erklärt erklärt die Diplom-Chemikerin, die seit 20 Jahren mit Fink zusammenarbeitet. „RapsAsphalt ist der Markenname für eine Bitumenemulsion." Die bestehe zu 30 Prozent aus Wasser und zu 70 Prozent aus Bitumen, erklärt Fink. "Und von diesem Bitumenanteil werden beim Rapsasphalt bis zu fünf Prozent durch natives Rapsöl ersetzt.“

2004 gab Geuder bei der TU München eine Studie zu den baulichen Eigenschaften seines Raps- Asphalts in Auftrag. Das Ergebnis: Durch das Rapsöl wird der Asphalt schneller fest, kann also früher befahren werden und hält etwa 20 Prozent länger als herkömmliche Verfahren. Eine Oberflächenbehandlung halte normalerweise etwa acht Jahre, sagt Fink. Bei Raps-Bitumenemulsionen seien es zehn Jahre oder mehr. Die Chemikerin begleitete die Studie damals: „Das Rapsöl wirkt im Bitumen als Fluxmittel und verharzt durch den Einfluss von Sauerstoff und Licht.“ Dadurch verklebe das Bitumen besser mit dem Gestein, der Asphalt verfestige sich schneller, werde vier Mal so hart – "und ist alterungsbeständiger."
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Ein Anteil von drei bis fünf Prozent Rapsöl in der Bitumenemulsion klinge zwar wenig, habe aber eine große umwelttechnische Wirkung, sagt Geuder. Die Arbeitsgemeinschaft "RapsAsphalt" ließ vor sechs Jahren einen offiziellen "Carbon Footprint", einen CO2- Fußabdruck, bei der FutureCamp Climate GmbH anfertigen. Demnach spare eine Oberflächenbehandlung mit der Raps-Bitumenemulsion bei zwölf Jahren Nutzungsdauer pro Jahr mehr als 20 Prozent CO2 gegenüber einer konventionellen Oberflächenbehandlung ein.
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Das Anwendungsgebiet seines RapsAsphalts sei aber beschränkt, sagt Geuder. Denn er sei anfällig gegenüber hoher Verkehrsbelastung: „Oberflächenbehandlungen mit Raps- Bitumenemulsionen werden überwiegend auf niederrangigen Straßen als Erhaltungsmaßnahme angewendet" – vor allem also auf Staatsstraßen, Kreisstraßen, Gemeindestraßen oder Flurwegen. "Nicht geeignet ist RapsAsphalt auf Autobahnen, Bundesstraßen oder Straßen mit einer hohen Verkehrsbelastung“, sagt Geuder. Diese kleineren Straßen machten deutschlandweit aber den weit größeren Anteil aus, sagt der Inhaber der Straßenunterhalt-Firma. Derzeit verlaufen in Deutschland etwa 230.000 Kilometer qualifizierte Straßen wie Autobahnen und Bundesstraßen. Demgegenüber stehen mehr als 400.000 Kilometer niederrangige Straßen. Ein großes potenzielles Anwendungsfeld für Rapsasphalt.
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Auf staatlicher Seite zeigt man sich Raps-Bitumenemulsionen gegenüber allerdings skeptisch: Es brauche erkennbare Umweltvorteile gegenüber konventionellen Verfahren, erklärt das Umweltbundesamt auf Nachfrage. Eigene Studien habe man dazu aber nicht durchgeführt. Grundsätzlich sehe man den Anbau von Raps zu Zwecken abseits der Ernährung kritisch. Das Umweltbundesamt verweist auf eine Studie aus der Schweiz aus dem Jahr 2015. Demnach hätten sogenannte biogene Öle, wie Rapsöl, im Straßenbau keine signifikanten Umweltvorteile gegenüber herkömmlichen Bindemitteln.

Ein Blick in die betreffende Studie zeigt ein differenziertes Bild: Biogene Öle wie Rapsöl hätten demnach positive Auswirkungen auf Klima und Ressourcenverbrauch. Dafür gebe es Nachteile durch Überdüngung und Versauerung der Böden. In Summe seien die Umweltauswirkungen vergleichbar mit herkömmlichen Verfahren, teilweise sogar höher. Die Schweizer Studie sieht in biogenen grundsätzlich zwar Potenzial, aber auch noch viel Forschungsbedarf.
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Bettina Fink von C.A.R.M.E.N. sieht beim Flächenverbrauch aber kein Problem: „Im Jahr 2019 wurden 900.000 Hektar Raps in Deutschland angebaut. Würden wir jetzt auf allen Straßen, wo es möglich ist, Rapsasphalt verwenden, kämen wir auf etwa 10.000 Hektar Rapsfeld, die wir dafür benötigen würden, also etwa ein Prozent des Rapsanbaus in Deutschland.“ Für den Flächenverbrauch von Rapsasphalt gilt laut Fink die Daumenregel: ein Quadratmeter Rapsfeld entspricht etwa einem Quadratmeter Straße.

Klaus Geuder hofft, dass die aktuelle Klimadebatte sich auch im Straßenbau auswirkt:
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Elektromobilität

Jahrzehntelang war die deutsche Automobilbranche der Vorreiter auf dem Weltmarkt, hat mit Qualität überzeugt und gleichzeitig mit Innovationen überrascht. Bis das Elektroauto kam – und damit auch allerlei Kritik. Liegt in elektrischen Antrieben wirklich die Zukunft der Mobilität?
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Ladestation statt Tankstelle, reine Luft statt Emissionsschwaden. Die Elektromobilität mit Lithium-Ionen-Batterien (LIB) hat viele Pluspunkte – und holt ebenso viele Kritiker auf den Plan. Dabei ist ihre Idee nicht neu: „Wer heute nicht die E-Mobilität entwickelt und zur Marktreife führt, der wird in wenigen Jahren hintendran sein. Die Welt schläft nicht“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon auf dem Elektromobilitätsgipfel im Jahr 2010.

Doch von der angestrebten Million Elektrofahrzeuge auf den deutschen Straßen bis 2020 sind nach aktuellen Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts bisher nur 137.000 erreicht. Was bedeutet das für die Zukunft der Elektromobilität? Und ist die Elektromobilität mit der umstrittenen Lithium-Ionen-Batterie wirklich die Zukunft?
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Für Maximilian Fichtner besteht daran kein Zweifel: „Von der Performance her gibt es aktuell kein System, was das LIB-Modell schlagen kann“, sagt der stellvertretender Direktor am Helmholtz-Institut Ulm (HIU) und Sprecher des Batterieclusters POLiS.

In der „Modellstadt der Elektromobilität“ Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) wird intensiv an Verbesserungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Elektromobilität geforscht. Vor mittlerweile zehn Jahren initiierte das Team um Jörg Geier in der 15.000-Einwohner-Stadt die Forschung an Themen wie Ladetechnik, Batteriemanagement- oder Active-Balancing- Systemen. „Ob Tesla, Ford oder BMW: Alle haben in irgendeiner Form Technik aus Bad Neustadt in ihren Autos oder wurden durch Bad Neustädter Technik geprüft“, sagt Geier. In den vergangenen zehn Jahren seien in ortsansässigen Unternehmen 750 neue Arbeitsplätze im Bereich Elektromobilität entstanden.
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Der Erfolg der E-Mobilität ist aber von Kritik überschattet. Vor allem die Umweltfreundlichkeit der Lithium-Ionen-Batterien und die Ressourcen werden hinterfragt. Kaufanreize soll die Kaufprämie für Elektrofahrzeuge bieten, die während der Corona-Krise auf 6.000 Euro verdoppelt wurde – um aufzuholen. Denn lange Zeit schien es, als sei China in Sachen EMobilität unschlagbarer Vorreiter. 85 Prozent der Batterieherstellung finden in Asien statt, 45 Prozent der Automobilinvestitionen flossen 2019 nach China. Im Jahr 2018 waren in China 2,3 Millionen E-Autos auf den Straßen, in Europa der High Level Group der EU zufolge gerade mal 960.000. Geier aus Bad Neustadt ist jedoch sicher, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb bestehen kann:
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Überraschend ist jedoch: Laut einer Studie der Beratung Berylls Strategy Advisors stiegen die Verkaufszahlen von E-Autos in Deutschland zwischen 2018 und 2019 um 59 Prozent, in China schrumpften sie dagegen um vier Prozent. Ist also eine Trendwende in Sicht? Wenn, dann liegt es vor allem an den politischen Bemühungen, die Bürger für die Elektromobilität zu begeistern. Cluster-Sprecher Fichtner prognostiziert: „2030 werden wir auf deutschen Straßen überwiegend E-Autos sehen.“ Auch die internationale Energieagentur schätzt die Zahl der weltweit angemeldeten E-Autos bis 2025 auf 70 Millionen. E-Mobilität-Experte Geier erklärt, wieso mittlerweile mehr E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs sind:
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Die Elektromobilität gilt als zentrale Schlüsseltechnologie für ein sauberes Verkehrssystems. „Die Autos sind lokal umweltfreundlich und CO2-neutral; sie produzieren keine antriebsbedingten Luftschadstoffe“, so Modellstadt-Organisator Geier. Trotz der CO2- intensiven Produktion der Batterien verfügen E-Autos Berechnungen der Forschungsstelle für Energiewirtschaft zufolge über eine bessere Umweltbilanz im Vergleich zu gängigen Benzinern – ab etwa 50.000 gefahrenen Kilometern. Für Verbraucher gibt es aktuell jedoch vor allem im urbanen Raum noch ein Problem:

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Die Herstellung der Batterien aber ist mit einem hohen Energiebedarf verbunden, die nötigen Rohstoffe werden teils unter fragwürdigen Bedingungen wie Kinderarbeit abgebaut, allen voran Kobalt. Laut Fichtner stecken in den Batterien aktuell nur noch zehn Prozent Kobalt im Durchschnitt, Tendenz sinkend: „In wenigen Jahren wird der Kobaltgehalt einer Kurbelwelle in Verbrennungsmotoren deutlich höher sein als in den Batterien für E-Autos.“

Eine These, die Geier bestätigt: „Elektronik enthält in Masse und Gewicht mehr Kobalt als alle E-Autos auf der Welt zusammen.“ Dennoch prognostiziert das Kölner Institut für Wirtschaft, dass die Kobalt-Nachfrage bis 2025 auf rund 225.000 Tonnen jährlich steigen könnte.
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Ein weiteres Problem: das Lithium, das überwiegend aus Salzseen in Südamerika gewonnen wird. Die Kritik, dass bei der Produktion Trinkwasser verschwendet würde, kann Chemiker und Batterie-Forscher Fichtner nicht versteht: Für einen 60 bis 65 Kilowattstunden-Akku würden zwischen 4.000 und 5.000 Liter Wasser gebraucht – genauso viel Wasser wie für die Herstellung von 250 Gramm Rindfleisch, einer halben Jeans oder zehn Avocados. Oder wie Geier weiß: „Gerade mal ein einstelliger Prozentbereich des Lithiumoutputs geht in die Elektroautobatterie“, sagt auch Geier. Denn Lithium werde auch zur Herstellung von Aluminium, Glas, Keramik und Akkus eingesetzt und ist in modernen Smartphone-, Kamera oder Laptopbatterien verbaut.

Doch die Ressource ist endlich. Recyceln sei in Deutschland noch zu kompliziert und nicht rentabel, so Fichtner. Im Unterschied zu Kobald lohnt es sich uch laut Karlsruher Institut für Technologie (KIT) derzeit weder ökonomisch noch ökologisch, Lithium aus den Batterien zu recyceln.
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„Eine richtige Alternative für so eine weltumspannende Technik haben wir nur, wenn wir das Rohstoffproblem umfassend lösen“, sagt Fichtner. Geforscht wird daher aktuell an Alternativen zur Lithium-Ionen-Batterie wie Festkörper-, Natrium-, oder Magnesiumbatterien. Oder auch Wasserstoff, der über Brennstoffzellen den Strom fürs E-Mobil liefert. „Die anderen Systeme robben sich immer weiter an das Lithium-System heran, aber es dauert noch“, so Forscher Fichtner. Noch gebe es bei der E-Mobilität keine wirkliche Alternative zur Lithium-Ionen- Batterie.
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Ob Fußboden, Fenster, Küchen- oder Badezimmerflächen: Sauberkeit ist wichtig und die Anforderungen an Reiniger sind hoch. Doch handelsübliche Reinigungsmittel bestehen aus chemischen Substanzen, die selten schonend für Umwelt und Nutzer sind. Die Alternative: Reiniger auf biologischer Basis.
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Oberflächen keimfrei, sauber und glänzend zu bekommen - mit
verschiedensten Chemikalien wird das perfektioniert. Oft haben die Mittel aber negative Nebeneffekte und schädigen den putzenden Verbraucher. Eine Langzeitstudie von der Universität Bergen in Norwegen kam 2018 zu dem Ergebnis, dass Reinigungsmittel sogar ähnlich wie das Rauchen die Lungen schädigen können. Auch die Folgen für die Umwelt sind erheblich.
Laut Umweltbundesamt kommen in deutschen Haushalten jährlich rund 480.000 Tonnen chemische Reinigungs- und
Pflegemittel zusammen. Mit dem Reinigungswasser gelangen entsprechend viele Substanzen in die Umwelt, die nur teilweise oder gar nicht in Kläranlagen abgebaut werden – zum Schaden des gesamten Ökosystems.
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Können biologische Reinigungsmittel diese Probleme lösen? So einfach sei das leider nicht, erklärt Elke Messerschmidt vom Kompetenzzentrum Hauswirtschaft Triesdorf: „Das Problem ist, dass der Name ‘Biologische Reinigungsmittel‘ nicht gesetzlich geschützt ist“. Eine Norm, die definiert, was biologisch ist, gibt es nicht. Ein biologischer Anteil von 40 Prozent reicht in Reinigungsmitteln schon aus, um als "biologisch" zu gelten.

"Allerdings gibt es umweltfreundliche Siegel für Reiniger, auf die man achten sollte" sagt Messerschmidt und nennt beispielsweise Blauer Engel, Euroblume oder Ecocert. Die Siegel stehen dafür, dass nicht nur die Verpackung, sondern vor allem der Inhalt biologisch ist. Sie lassen den Verbraucher erkennen, dass die jeweiligen Tenside aus nachwachsenden Rohstoffen wie Sonnenblumen, Raps oder Oliven gewonnen
werden und nicht mehr als fünf Prozent künstliche Konservierungsstoffe enthalten sind.
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Tenside sind die zentralen Substanzen zur Reinigung. Sie setzen die Oberflächenspannung des Wassers herab. Dadurch kann die zu säubernde Oberfläche wirksam benetzt werden, um festhaftenden Schmutz abzulösen und zu entfernen. Tenside aus heimischen Rohstoffen sind in der Herstellung allerdings teurer als die chemische Konkurrenz.
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Durch den Einsatz von regionalen Ölen – vor allem aus Sonnenblumen und Raps – und mit speziellen Bakterienkulturen lässt sich die Herstellung von Tensiden in Bioreaktoren verbessern. So arbeitet im ProjektInnovationsallianz funktionsoptimierte Biotenside“ das Unternehmen Biofilon aus Schweinfurt an biotechnischen Methoden, um mehr Biotenside wirtschaftlich produzieren zu können. „Vor ein paar Jahren waren echte biologische Reinigungsmittel noch unbezahlbar,“ sagt Geschäftsführer Manfred Knittel. Neue Methoden in der Herstellung hätten das aber geändert.

Biofilon will Verbrauchern in privaten und industriellen Bereichen umweltverträgliche Reinigungsmittel bieten, die erschwinglich sind. Zwar könne vor allem in der Industrie im Moment noch nicht alles durch rein biologische Mittel ersetzt werden, So Knittel: "Aber sie können einen großen Teil der chemischen Reiniger ersetzen.“ Es gebe schon viele Möglichkeiten, etwas zu verändern – auch in der Industrie.
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Das Unternehmen setzt nicht nur bei Verpackung und Logistik mit Flaschen aus Biokunststoff und zertifizierten Kartonagen auf Nachhaltigkeit. „Unsere wasserlöslichen Reinigungskonzentrate sind aus ökologischer Herstellung“, sagt Knittel. Die Inhaltsstoffe seien vollständig biologisch abbaubar. Biofilon verwendet das Tensid Rhapynal, dessen Hauptbestandteil Rhamnolipide ist mikrobiellen Ursprungs. In ihrer Wirkung sei dies effektiver als synthetisch produzierte oder auf Erdöl basierende Tenside, wirbt Knittel.


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Auch auf den Verbraucher kommt es an: „Viel hilft viel“ ist der falsche Ansatz. Allzweckreiniger, Sanitärreiniger, Glasreiniger und Zitrone oder Essig reichen vollkommen aus, um Fett, Kalk und Flecken zu entfernen. „Die Menge der Mittel muss richtig sein. Dosierungshinweise müssen beachtet werden“, rät Elke
Messerschmidt vom Kompetenzzentrum Hauswirtschaft. Man könne auch Reinigungsmittel sparen, wenn man Tücher verwendet, die mehr Schmutz aufnehmen.


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Trotz des gewachsenen Umweltbewusstseins greifen Verbraucher noch immer lieber  zu chemischen als zu biologischen Produkten. Hauptgrund: der Preis. Manfred
Knittel ist optimistisch: „Da passiert viel momentan. Der Wille, wirklich etwas zu verändern, ist da.“
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Das Konsumverhalten der Verbraucher beeinflusst immer stärker die Umwelt. Dabei zeigen sich in Deutschland gegenläufige Tendenzen. Während nachhaltige Produkte bei den Verbrauchern immer beliebter werden, steigt gleichzeitig die Kauflaune bei konventionellen Produkten.

Der Konsum privater Haushalte ist eine Belastungsrobe für die Umwelt. „Letztlich haben die Konsumenten 60 bis 70 Prozent der Umweltfolgen in der Hand“, sagt Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Damit geht ein beachtliches Potenzial zur Verringerung der Umweltbelastung einher – eine große Verantwortung für die Verbraucher, die zwischen nachhaltigem Konsum und Kauflust stehen.
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Doch was bedeutet „Nachhaltiger Konsum“ überhaupt? Laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) beschreibt er einen Lebensstil und ein Verbraucherverhalten, das Umwelteinflüsse sowie soziale Aspekte bei Kauf und Nutzung von Produkten und Dienstleistungen berücksichtigt. Darunter fallen auch das Nutzungs- und Entsorgungsverhalten von Ressourcen im Alltag.

Für Susanne Waldmann, Gründerin und Geschäftsführerin des Unverpackt-Geschäfts in Würzburg, ist das Konzept des nachhaltigen Konsums jedoch ein Widerspruch in sich. „Konsum ist nie nachhaltig“, erklärt sie, weil selbst nachhaltiger Konsum einen Verbrauch von Ressourcen mit sich bringt. So sei mit nachhaltigem Konsum lediglich der bewusste Umgang mit Gütern und Dienstleistungen gemeint, die für das Leben notwendig sind.
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Von der Bio-Gurke bis zur Fairtrade-Jeans – die Nachhaltigkeitsbranche boomt in Deutschland. So verdoppelte sich seit 2010 laut der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln. Verbraucher aus Deutschland gaben 2018 durchschnittlich 132 Euro für Bio-Lebensmittel aus – Platz sechs im europäischen Vergleich. Wie der Verein TransFair mitteilt, erzielten Fairtrade-Produkte in Deutschland im Jahr 2019 einen Rekordumsatz. Für fair gehandelte Produkte wie Lebensmittel, Textilien und Elektronik gaben Konsumenten insgesamt zwei Milliarden Euro aus.
Allerdings werden diese Erfolge durch höheren Konsum der Verbraucher gemindert – man spricht vom sogenannten Rebound-Effekt, erklärt Grundwald:
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Laut Angaben des Statistischen Bundesamts gaben deutsche Haushalte im Jahr 2019 rund 64,4 Milliarden Euro für Bekleidung aus, zehn Jahre zuvor waren es noch 54,47 Milliarden Euro. „Das ist das typische Luxusphänomen“, erklärt Grunwald. Auch für Matthias Pieper, Mitgründer des Zukunftshaus Würzburg, ist es eine Belastungsprobe für die Umwelt, „weil dieser ganze Ressourcenschwanz, der da hinten dranhängt, total unnachhaltig ist und unsere Erde diese Ressourcen gar nicht zur Verfügung stellt.“
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Immer mehr Verbraucher sind bereit, für nachhaltige Produkte mehr auszugeben. Zahlen des Marktforschungsinstituts Splendid Research in 2020 zeigen, dass die Preisbereitschaft bei Produkten mit Gütesiegel um 15 Prozent steigt. Dennoch: „Für viele Menschen ist der Preis nach wie vor das einzige Kriterium“, sagt Grunwald. Laut einer Umfrage des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln) im Jahr 2020 empfinden 37 Prozent der Befragten nachhaltige Alternativen als zu teuer.

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Dabei muss Nachhaltigkeit nicht mit höheren Ausgaben verbunden sein. „Es gibt auch Möglichkeiten, wo Umweltschutz nicht nur die Umwelt entlastet, sondern auch meinen eigenen Geldbeutel“, sagt Pieper. Dazu zählen Angebote wie Carsharing und Tausch- und Leihbörsen. Außerdem kommen Maßnahmen wie Mülltrennung oder Fahrradfahren ohne Kosten für die Verbraucher. Die Umsetzung von Nachhaltigkeit ist individuell. So sei es wichtig, dass sich jeder einzelne Gedanken macht: „Wo kann ich in meinem Alltag anfangen, was kann ich für mich umsetzen? Das kann erstmal auch ganz wenig sein“, meint Pieper.

Bei der Effizienz solcher Maßnahmen herrscht jedoch Uneinigkeit. „Es kann sein, dass die Summe dieser kleinen Maßnahmen eben nicht ausreicht, um diesen ganz großen Tanker Weltwirtschaft mit dem Konkurrenzdenken und der Wachstumserwartung von Milliarden von Menschen dahinter, umzustellen“, so Grunwald.
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Für Grunwald ist der Konsument ein schlafender Riese. Prinzipiell könnte er mit seinem Konsumverhalten die Wirtschaft direkt beeinflussen. „Wenn alle Menschen auf Öko-Autos umstiegen, würde die Industrie keine Spritfresser mehr produzieren“, sagt er. Die Realität sieht jedoch anders aus. Wie aus Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts hervorgeht, machen SUVs und Geländewagen fast ein Drittel des Marktanteils der Pkw-Neuzulassungen im Jahr 2019 aus. „Wir sind ja in einem liberalen Wirtschaftssystem, wo Menschen selbst entscheiden, wie sie ihr Geld ausgeben wollen“, sagt Grunwald. Daraus dürfe man jedoch nicht schließen, dass der Endverbraucher gar keinen Einfluss auf die Wirtschaft habe. Schließlich hat die erhöhte Nachfrage nach Bio-, sowie Regionallebensmittel dazu geführt, dass Discounter immer mehr auf diese Produkte setzen.
Grundwald ist aber auch der Auffassung, dass es im Alltag viel zu aufwendig ist, bei jedem konsumierten Artikel die Ökobilanz nachzuverfolgen. Wer das täte, sei nahezu ein Held. Er sieht die Verantwortung noch woanders:
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Bioökonomie & Ethik

Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Dominik Enste, Kompetenzfeldleiter für Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erklären, auf welche ethischen Aspekte es zur erfolgreichen Umstellung der Wirtschaftsform ankommt, aber auch, woran der Wandel scheitern kann.

Folgt man dem Bioökonomierat in seinem Verständnis von Bioökonomie, so ist das Hauptziel, Ökonomie und Ökologie so zu verbinden, dass nachhaltiges Wirtschaften möglich wird. Dies meint, natürliche Ressourcen ökonomisch zu nutzen, zugleich aber auf eine umweltfreundliche Weise, die den Erhalt natürlicher Kreisläufe sicherstellt. Andere Beschreibungen gehen noch weiter und besagen, dass mit der Bioökonomie eine Ressourcenwende herbeigeführt werden soll. Diese wiederum solle die Voraussetzungen für ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Wirtschaftssystem schaffen.
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Nachhaltigkeit: Ein schwammiger Begriff

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Wer das liest, dem drängen sich mindestens zwei Fragen auf: Wie soll diese Wende vollzogen werden? Und vor allem: Was genau ist eigentlich Nachhaltigkeit? Die konkrete Bedeutung dieses inflationär verwendeten Begriffs bleibt oft schwammig. In dieser Unklarheit sieht Sozialethiker Markus Vogt ein großes Problem: „Ich kritisiere den Bioökonomierat auf Bundesebene dafür, dass er Nachhaltigkeit immer nur als Adjektiv erwähnt hat. So, als wäre klar, was das überhaupt bedeutet. Klar definiert haben sie (die Mitglieder des Rats, Anm. der Redaktion) es aber nie.“ Dies stellt ein großes Problem dar, so fehlt in der Folge ein ethischer Kompass, an dem sich Unternehmen, Konsumenten oder die Politik orientieren könnten.
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Messbar machen

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 Auch Verhaltensökonom Dominik Enste ist sich dieser Problematik bewusst: „Nachhaltigkeit ist noch ein unscharfer Begriff, unter dem sich viele Menschen viele verschiedene Dinge vorstellen können.“ Er ist der Meinung, dass der Begriff der Nachhaltigkeit unbedingt messbar gemacht werden muss. Diesen für alle Bereiche und Anforderungen zu verallgemeinern, scheint jedoch schwierig, gesteht er zu. Eine leitende Grundbedingung stellt er aber auf: „Jedes Unternehmen muss grundsätzlich und für seine spezifischen Bereiche festlegen, was konkret Nachhaltigkeit bedeutet.“ Die Dringlichkeit solcher Maßnahmen zeigt sich, wenn man den Gedanken weiterspinnt: Ein Ausbleiben solcher Definitionsarbeit dürfte in der Folge mehrheitlich dazu führen, dass es Unternehmen nur schwer möglich ist, sich tatsächlich nachhaltig zu verhalten. Denn wie soll das funktionieren, wenn Führungspersonal und Mitarbeiter nicht genau wissen, was sie unter Nachhaltigkeit überhaupt zu verstehen haben?
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Umstritten ist aber nicht nur dieser Begriff, sondern auch die Definition der Bioökonomie selbst. Gemäß dem Bioökonomierat gibt es zwar ein einheitliches Verständnis, dem zufolge sie als „eine moderne und nachhaltige Form des Wirtschaftens, die auf biologische(n) Ressourcen basiert“, verstanden wird. Diesem positiven Framing halten kritische Stimmen, wie etwa die Journalistin und Buchautorin Christiane Grefe, aber entgegen, dass man unter der Bezeichnung „Bioökonomie“ lediglich Genmanipulationen unter einem neuen Namen verkaufe. Markus Vogt bestätigt dies zwar in Teilen: „Wenn man sich die Begriffsgeschichte anschaut, ist tatsächlich beabsichtigt worden, einfach ein neues Etikett für einen Begriff zu nutzen, welcher in der öffentlichen Akzeptanz ein schlechtes Image hatte.“ Es bleibe dabei aber offen, wo Gentechnik überhaupt anfängt, wo sie aufhört und ob sie überhaupt noch nachweisbar ist.
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Und gerade zur orientierenden Klärung solch umstrittener Verfahren brauche es Ethik in der Bioökonomie. Für den Sozialethiker gibt es im Bereich der Lebensmittelproduktion aber durchaus auch ein Argument für solch unkonventionelle Methoden, da man „mit traditionellen Methoden gar nicht mehr nachkommen würde, die Nahrung zu produzieren, welche heutzutage nötig ist.“  Kritiker hinterfragen auch, ob es ethisch vertretbar sein kann, die Natur bis zu ihrem Maximum auszunutzen – pessimistisch gesprochen sie auszubeuten – um materielle Bedürfnisse zu befriedigen? Das aber ist nicht die Idee einer nachhaltigen Wirtschaft: „Für mich gehört zur Definition von Nachhaltigkeit beispielsweise auch Suffizienz und Maßhalten dazu“, sagt Markus Vogt und fordert, diese Definitionskriterien des Nachhaltigkeitsbegriffs auch für die Bioökonomie zu veranschlagen.
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Ein weiterer Bereich, der für ein ethisches Wirtschaften eine Rolle spielt, ist das Kaufverhalten jedes Einzelnen. Denn in einer Markwirtschaft gibt die Nachfrage maßgeblich den Ton an und formt das Angebot entscheidend mit. Ethisch korrekter Konsum ist aber leichter gesagt als getan, denn oftmals bleiben Produktionsbedingungen, sei es im Nahrungsmittel- oder im Modebereich, im Dunkeln und – das haben zahlreiche Skandale der letzten Jahre gezeigt – entsprechen nicht immer den moralischen Vorstellungen. Orientierung geben und zu aufgeklärtem Konsum befähigen, sollen hier spezielle Siegel. Aufschriften wie „BIO“, „Fair Trade“, „WWF“ oder „FSC“ sind nur einige der vielen existierenden Labels. Aber nicht alle Siegel halten das, was sie versprechen. Wer sich mit ihnen nicht ausreichend auskennt, kann schnell den Überblick verlieren. Zur Orientierung empfiehlt der Verhaltensökonom Domink Enste, „dass jeder die für ihn wichtigen Lebensbereiche raussucht und sich individuell darüber informiert.“
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Ein häufig thematisiertes Problem umweltfreundlicher und fair produzierter Produkte ist jedoch, dass sie meist teurer sind als die herkömmlichen, sei es das nachhaltige Leinenkleid oder das Fleisch vom Bio-Bauernhof. „Wenn die Menschen, die sich solche Dinge leisten können, mehr auf die Umwelt, ‚Fair Trade‘ oder ‚Bio‘ achten würden, dann würden diese Produkte vielleicht bald günstiger werden“, gibt der Verhaltensökonom zu bedenken. Durch seine Forschungen, in denen er nun über längere Zeit Menschen und ihre Solidarität beobachtet hat, weiß er, dass sich damit viele noch schwertun: „Das ist einfach in vielen Bereichen eine sehr lange Gestaltungs- und Überzeugungsaufgabe.“ Scheitert die erfolgreiche Umsetzung der Bioökonomie letztlich also an mangelnder Bereitschaft zu einem ethischeren Konsum seitens der Verbraucher?  
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Dieser Konflikt scheint nicht der letzte zu sein, der den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaftsform vor Herausforderungen stellt: Ein anderer ist die Frage nach der geeigneten Art, den hohen Wert natürlicher Ressourcen auszudrücken. Die Gesellschaft soll mit der Bioökonomie auf eine nachhaltige und biobasierte Wirtschaftsweise zusteuern, daher ergeben sich auch im Bereich der Natur neue Werte und damit neue Preise. Ein Beispiel hierfür ist biologischer Abfall, der wertvoller wird, denn er kann nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft zur Energiegewinnung und als Dünger weiterverwendet werden. „Wertschätzung muss sich auch strukturell ausdrücken, zum Beispiel durch Märkte. Wir orientieren uns ja schon immer an Preisen“, erklärt Markus Vogt. Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen sind neue Antreiber, die im neuen Wirtschaftssystem auch neu bepreist werden.
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Aber ist die Bepreisung, ein zutiefst ökonomischer Mechanismus, eine ethisch vertretbare Form, Wertschätzung auszurücken in einer Wirtschaftsform, die sich über einen innovativen, umsichtigen Umgang mit der Natur definieren soll?
Insbesondere vor seinem theologischen Hintergrund sieht Markus Vogt darin ein großes Problem: „Die Schönheit der Natur lässt sich eigentlich nicht bezahlen. Dass wir nur alles unter dem Motto des Kaufens wahrnehmen, unter dem Motto des Verbrauchens und unter dem Motto des Besitzens, ist im Grunde eine ärmliche Reduktion der Wahrnehmung der Natur.“

Bei der Frage nach der angemessenen Wertschätzung natürlicher Ressourcen steckt die Gesellschaft moralisch also noch in einer Zwickmühle, denn Tatsache ist: Märke handeln hoch bepreiste Güter als knapp und qualitativ hochwertig. Mit diesem altbekannten Ansatz scheint es allerdings schwierig, den rein ökonomischen Blick auf Produkte, also letztlich auf Pflanzen, Tiere und natürliche Kreisläufe, zu überwinden.
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Die Bioökonomie steht vor einigen Herausforderungen, zur Bewältigung derer neben politischen Spielregeln unter anderem eine ethische Richtlinie gebraucht wird. „Die wichtigste Lehre aus der Wirtschaftsethik ist aufzuzeigen, dass es nicht um einen Konflikt zwischen Wirtschaft und Ethik geht“, meint Dominik Enste, „und wenn es ihn gibt, muss man Wege finden, mit denen beides in Einklang gebracht werden kann.“ Diese Wege zu gehen, scheint noch ein gutes Stück Arbeit zu sein.
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Bioökonomie & Gesellschaft

Die Erde stößt an ihre planetaren Grenzen. Das stellt die Zukunftsfähigkeit des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Frage. Eine Lösung könnte der tiefgreifende Wandel zur Bioökonomie sein. Wissenschaftler:innen untersuchen, was das genau bedeutet.
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Im Kern steht die Bioökonomie dafür, fossile Rohstoffe durch erneuerbare, nachwachsende Materialien zu ersetzen. Der Wandel zu dieser biobasierten Wirtschaft hat nicht nur für die Ökonomie, sondern auch für die Gesellschaft weitreichende Konsequenzen. Denn: Die Menge an Produkten, Dienstleistungen und Prozessen, die auf fossile Rohstoffe zurückgreifen, ist immens. Plastik, Kosmetika, Kleidung, Autos – die Liste ist lang und betrifft den Alltag der Menschen.

Die Bundesregierung hat im Januar 2020 ihre Bioökonomiestrategie vorgestellt. Das Ziel: Eine nachhaltige, kreislauforientierte Wirtschaft, die auf biologischen Ressourcen basiert. Gefördert werden Technologien, die biogene Rohstoffe nutzbar machen und zum Beispiel Erdgas, Kohle oder Öl ersetzen. Die Strategie orientiert sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, die damit internationale Krisensituation vorbeugen und bewältigen will.
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Globale Herausforderungen wie die wachsende Weltbevölkerung, der dadurch steigende Nahrungs-, Wasser- und Flächenbedarf wie auch die Umweltbelastung verlangen von der Gesellschaft, sich nachhaltig zu verändern. Das gilt für Erzeuger wie Konsumenten gleichermaßen. Die Bioökonomie stellt eine Möglichkeit für diesen nötigen Wandel dar: Fossile Rohstoffe werden durch biogene ersetzt, um eine nachhaltige und klimaverträgliche Wirtschaft zu realisieren.
Das Leitprinzip der Bioökonomie ist die Kreislaufwirtschaft,
das auf dem Stoffkreislauf der Natur basiert.
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Die Kreislaufwirtschaft erschließt und nutzt nachwachsende, biologische Rohstoffe und vermeidet konsequent Abfall, in dem Materialien wiederverwendet, aufgearbeitet und recycelt werden. Die fossile Wirtschaft wird dagegen als Linearwirtschaft bezeichnet. Das bedeutet, dass die verwendeten Rohstoffe nicht mehr in den Kreislauf zurückgeführt werden. An dieser Stelle ist auch von einer „Wegwerf-Gesellschaft“ die Rede. Dass Ressourcen hier nicht wieder verwendet werden, hängt damit zusammen, dass immer neue, global produzierte Produkte wie Kleidung und Lebensmittel nahezu grenzenlos verfügbar sind. Wachstum ist in der Linearwirtschaft der Treiber für Wohlstand – doch Soziologe Dennis Eversberg von der Universität Jena meint:
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Eversberg untersucht mit dem Forschungsprojekt „flumen – Mentalitäten im Fluss“ an der Universität Jena, inwiefern sich gesellschaftliche Strukturen verändern müssen, damit diese mit dem postfossilen Wirtschaften vereinbar sind. Eversberg stellt fest: „Grundsätzlich zeigt der bisherige Forschungsstand immer wieder, dass das Umweltbewusstsein in den Köpfen der Menschen hoch ist, sich jedoch in der Praxis sehr wenig ändert.“ Der Grund aus Sicht des Forschers: die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
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Das bedeutet, dass sich Mentalitäten von Menschen nicht von selbst ändern. Es müssen Anreize von außen geschaffen werden, die aktiv die Einstellungen von Menschen beeinflussen, wie zum Beispiel die kostenlose Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Auto könne nicht mehr das Standardmodell dafür sein, sich in der Gegend zu bewegen, so Eversberg. Überhaupt müsse die Gesellschaft in Zukunft mit erheblich weniger „Zeug“ auskommen und weniger nach kontinuierlichem Wachstum streben.
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Welche Auswirkungen hat es auf den Arbeitsmarkt und die Erwerbsstruktur, wenn das Credo „weniger Wachstum“ lautet? Die Bioökonomie werde nicht für viele neue Jobs sorgen, stellt Eversberg klar. Das hänge mit den typischen Bio-Branchen zusammen, also Land- und Forstwirtschaft oder Lebensmittelerzeugung. Dort stagnierten die Beschäftigungszahlen ohnehin.

Und wenn die Menschen in der Bioökonomie genügsamer mit den vorhandenen Ressourcen umgingen, müsste weniger hergestellt werden. „Wo weniger produziert wird, fällt auch weniger Arbeit an“, so Eversberg. Es müsse daher darüber nachgedacht werden, vorhandene Arbeit gerecht umzuverteilen. Immerhin könnten die Menschen dann von mehr Freizeit und Lebensqualität profitieren.
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Um den Wandel zur Bioökonomie vollziehen zu können, muss sich die Art und Weise ändern, wie wir als Gesellschaft leben und wirtschaften. Das sieht auch die Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW), Katharina Reuter, so. „Die Transformation wird weh tun. Wir werden auf manch liebgewonnene Absonderlichkeiten verzichten müssen“, sagt sie und verweist auf den „absurden“ SUV-Boom oder zu günstige Flugpreise. Aber wie kann Verzicht in einer konsumorientierten Gesellschaft etabliert werden?
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Der BNW setzt sich dafür ein, die Wirtschaft sozial und ökologisch zu transformieren. Nachhaltigkeit müsse für die Mitgliedsunternehmen an erster Stelle stehen, so Reuter. Doch das größte Problem liege darin, dass die heutige Wirtschaftsstruktur ein nicht-nachhaltiges Wirtschaften immer noch möglich mache. Als Beispiel nennt sie Rezyklat, einen Sekundärrohstoff, der aus recyceltem Kunststoffabfall gewonnen wird. Ein Produkt der Kreislaufwirtschaft also. „Rezyklat ist auf dem Markt um einiges teurer als neu produzierter Kunststoff. Das stellt eine Hürde für die Nachhaltigkeit dar.“ Laut Reuter muss es genau andersherum sein: „Was schlecht für die Umwelt ist, muss auch mehr kosten.“ Der BNW fordert daher Gesetze und politische Kampagnen, die Anreize schaffen, um diese Preisdynamik umzudrehen. Darunter fallen die erhöhte CO2- und Kerosinbesteuerung, Pestizidabgaben, die Förderung des ökologischen Landbaus und – das vielleicht Wichtigste – die Wissensvermittlung. „Bio ist sehr oft erklärungsbedürftig. Es muss viel Wissen mitgegeben werden, damit das im Bewusstsein der Menschen ankommt“, so Reuter.
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Wie eine postfossile Gesellschaft konkret aussehen sollte, weiß Mentalitätsforscher Eversberg noch nicht. Für ihn führt jedoch kein Weg an der öffentlichen Debatte vorbei: „Die bioökonomische Zukunft ist überhaupt noch nicht ausgemacht. Es braucht eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung, wie wir zukünftig zusammenleben und wirtschaften werden.“
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Postwachstum

Schonungslos hält die Corona-Pandemie uns die Schwächen des bestehenden Wirtschaftssystems vor Augen. An diesen Schwächen lässt sich arbeiten: Die Gemeinwohl-Ökonomie zeigt Perspektiven, die über den klassischen Wachstumsgedanken hinaus gehen.

Rückblende auf den Frühjahrsbeginn 2020: Die venezianischen Kanäle füllen sich mit glasklarem Wasser und Delfine lassen sich deutlich öfter als sonst an der Küste vor Istanbul beobachten. Die positiven Auswirkungen des weltweiten Shutdowns 2020 auf die Natur sowie die unter den Einschränkungen leidende Wirtschaft rücken eine Frage in den Fokus: Wie könnte eine Wirtschaft aussehen, die nicht ständig wachsen muss? Eine Wirtschaft, die nicht Kapitalvermehrung in den Vordergrund stellt, sondern den Menschen, die Natur und Nachhaltigkeit? Könnte das unsere Zukunft sein?
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Diese Fragen zu stellen lohnt sich: Bereits 2012, während der Eurokrise, ermittelte die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid, dass acht von zehn Bundesbürgern sich eine neue Wirtschaftsordnung wünschen. Als Begründung nannten die Befragten unter anderem, dass der Kapitalismus weder für einen sozialen Ausgleich sorge noch die Umwelt schone. Acht Jahre später gibt es in Deutschland im Wesentlichen die gleiche Wirtschaftsordnung. Zwar beschloss die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, bereits 2014 die Agenda „Green Economy“, die ein nachhaltigeres Wirtschaften zum Ziel hat. Aber auch dieses Konzept hält grundsätzlich am Wachstumsgedanken fest. Die Idee dieser Agenda ist, durch die Modernisierung der Wirtschaft ein umweltverträglicheres, qualitativ nachhaltiges Wachstum zu fördern, welches das gesellschaftliche Wohlbefinden und die soziale Gerechtigkeit stärken sowie die Armut bekämpfen soll. In diese Ziele wurden allein bis 2018 gut 350 Millionen Euro investiert. Doch sechs Jahre nach Geburt dieser Idee fällt die Bilanz eher nüchtern aus: Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge wurden die Klimaziele noch nicht erreicht und auch die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich nicht verringert.
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Es scheint daher geboten, andere Konzepte in den Blick zu nehmen: Wie könnte eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung aussehen, die die Ressourcen unseres Planeten und die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt? Der österreichische Ökonom, Autor und Aktivist Christian Felber glaubt mithilfe der sogenannten „Gemeinwohl-Ökonomie“ Antworten darauf gefunden zu haben. Unter diesem Oberbegriff versteht man eine Reihe alternativer Wirtschaftskonzepte und -modelle, die sich in erster Linie am Gemeinwohl orientieren. Diese Form des Wirtschaftens zielt darauf ab, das Wohlergehen der Menschen zu fördern. Alle wirtschaftlichen Tätigkeiten sollen sich hierfür auf dieses Ziel ausrichten. Das Konzept sieht vor: Schluss mit dem steten Wachstum, Schluss mit der steten Gewinn- und Kapitalvermehrung – hin zu einem besseren Lebensstandard für alle. Seit 2010 gibt es eine gleichnamige gesellschaftliche Bewegung, Initiator ist Felber.
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Im Kern ist dieser Ansatz des Wirtschaftens nicht neu: Felber beruft sich u. a. auf die Erkenntnisse des griechischen Universalgelehrten Aristoteles. Er verweist auf dessen Schriften und hier vor allem auf seine Empfehlung, „das gute sittliche Leben“ als Maßstab für die Beurteilung wirtschaftlicher Tätigkeiten zu nehmen. Genau da möchte Felber wieder hin: Weg vom Bruttoinlandsprodukt als Indikator für Wohlstand, hin zu einem „Gemeinwohlprodukt“, welches sich aus Indikatoren wie etwa gelingenden zwischenmenschlichen Beziehungen, Gesundheit und psychischem Wohlbefinden, z. B. in Form von Zufriedenheit, zusammensetzt. Aspekte, die in den Wirtschaftswissenschaften bislang kaum Platz finden.

Lässt sich der gängige Wachstumsgedanke mit einem Wirtschaftskonzept vereinen, das dem Wachstumsparadigma entkommen möchte, oder heißt es in der Gemeinwohl-Ökonomie vollständig und ohne Kompromisse: Wachstum adé? Felber zufolge lässt sich der Wachstumsgedanke in ein solches Konzept integrieren – aber anders als bislang: Es sollen nicht weiterhin die Finanzwerte wachsen, sondern die unterschiedlichen Aspekte von Lebensqualität – beispielsweise mehr ökologische Nachhaltigkeit, mehr gelingende Beziehungen, mehr Glück und Wohlbefinden, mehr Demokratie und Frieden. „Das Wachstum hört nicht auf“, erklärt er. Es verlagere sich nur hin zu neuen Zielen – zu solchen, die Menschen direkt und persönlich berühren.
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Die heutige Welt ist globalisiert und miteinander vernetzt, das gilt besonders für die Wirtschaft. Wie lässt sich der globale Handel, der für eine Exportnation wie Deutschland enorm wichtig ist, mit einer Postwachstumsökonomie vereinen, die auf Nachhaltigkeit setzt? Neben der wirtschaftlichen Umstrukturierung auf nationaler Ebene sieht die „Gemeinwohl-Ökonomie“ auch eine neue Form des Welthandels vor. Felber erklärt, dass man auf globaler Ebene einen „gemeinwohlorientierten und ethischen Welthandel“ einführen wolle. Dieser sehe die Integration einer Welthandelsorganisation in die Vereinten Nationen vor, um einen konsequenten Schutz der Menschenrechte, des Klimas und des Arbeitsrechts gewährleisten zu können. Zudem sollen sich Unternehmen und Länder vor internationalen Gerichten verantworten müssen, wenn sie gegen Menschenrechte oder andere Vereinbarungen verstoßen. Darüber hinaus würde die unternehmerische Gemeinwohlbilanz, die es in Deutschland und anderen Ländern bereits seit 2011 gibt, global ausgeweitet und ihre Wertung an einen sogenannten „Weltmarktzugangsaufschlag“ gebunden werden. Durch diese Maßnahme erhofft sich Felber Anreize für mehr Klimaschutz, aber auch, dass Korruption und die Nutzung von Steueroasen zurückgehen.
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Die Gemeinwohl-Bilanz ist ein Instrument, das bereits 1999 im Europäischen Parlament beschlossen wurde, aber erst 2017 in Form der „EU-Richtlinie über nichtfinanzielle Berichterstattung“ in Kraft getreten ist. Somit ist ein Teil dieses Konzepts heute im Wirtschaftssystem der EU verankert. Mit der bisherigen Umsetzung eben dieser Richtlinie zeigt sich der alternative Ökonom aber nicht zufrieden: „Mittlerweile haben wir sie, aber in einer so verwässerten Form, dass sie praktisch noch immer vollkommen wirkungslos ist.“ Weder sei die Gemeinwohl-Bilanz wirklich verpflichtend, noch werde ihre Einhaltung durch externe Akteure geprüft. Nach Konsequenzen bei einem schlechten Ergebnis suche man in der Folge vergebens, so Felber. Ein zahnloser Papiertiger also.
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2020 und 2021 sind Jahre, die durch die Corona-Pandemie und ihre vielschichtigen Auswirkungen in die Geschichte eingehen werden. Schonungslos zeigt sie die Schwächen eines Wirtschaftssystems auf, das hauptsächlich auf ökonomischem Wachstum basiert. Der Lockdown zwang nicht nur den Einzelhandel und die Gastronomie in die Knie, sondern auch große Akteure wie die Lufthansa. Wie würde die Gemeinwohl-Ökonomie mit solch einer wirtschaftlichen Herausforderung umgehen? Darauf hat Felber eine klare Antwort: Nach der Devise „Safe the people first“, also: Rettet zuerst die Menschen. Zu diesem Zweck schlägt der Wirtschaftsreformer ein bedingungsloses Grundeinkommen vor sowie einen erhöhten Lohn für systemrelevante Berufe. Zugleich sieht die Gemeinwohl-Ökonomie ein festgelegtes Höchsteinkommen vor, welches sich am Mindestlohn orientiert.

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Das von Felber skizzierte Konzept sieht außerdem vor, die Eigentümer großer Konzerne mehr in die Verantwortung zu nehmen, staatliche Zuschüsse sollen sie in einer Wirtschaftskrise nicht ohne Weiteres bekommen. „Hier müssten die Eigentümer Vermögen nachschießen“, um so die Verluste und das Kapital ihrer Konzerne wieder auszugleichen, erklärt er. Eine sogenannte „Nachschusspflicht“ gibt es im deutschen Recht bereits, Felber möchte aber, dass diese auch in Krisensituationen bei den Großen greift. Bei kleineren Unternehmen sieht es in der Gemeinwohl-Ökonomie etwas anders aus: „Die systemrelevantesten und gemeinwohldienlichsten könnten einen Ausgleich von bis zu hundert Prozent ihrer Verluste erhalten.“ Dies solle über die Gemeinwohl-Bilanz reguliert werden: Unternehmen, die sich verpflichteten, diese anzufertigen, bekämen mehr erstattet als solche, die das nicht tun.
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Auch wenn viele Aspekte dieses Modells derzeit utopisch scheinen, zeigt sich hieran beispielhaft: Ansätze für eine neue Wirtschaftsordnung sind längst da – zum einen in der Literatur, in der es neben der Gemeinwohl-Ökonomie eine Reihe weiterer Modelle für unser künftiges Wirtschaften gibt. Zum anderen finden sie sich in ersten Zügen bereits in unserem heutigen Wirtschaftssystem, etwa in der Gemeinwohl-Bilanz.Bereits in jüngster Zeit hat sich gezeigt, dass Berge versetzt werden können, wenn der politische Wille da ist: So hat die Europäische Union mit dem Corona-Hilfspaket vergangenes Jahr erstmalig in ihrer Geschichte gemeinsam Schulden aufgenommen – etwas das vorher für viele Staaten undenkbar schien. Und vielleicht steigert der anhaltende Existenzkampf vieler Unternehmen durch die pandemiebedingte Rezession auch die Bereitschaft und den Leidensdruck in der Gesellschaft, das bestehende Wirtschaftssystem weiterzuentwickeln.
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VERARBEITEN

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Biogasanlagen

Für die globale Digitalisierung werden alternative Stromquellen immer unverzichtbarer. Strom, der aus fossilen Brennstoffen wie Öl erzeugt wird, soll nicht zuletzt der Umwelt zuliebe durch erneuerbare Energien vollständig ersetzt werden.

In Deutschland werden schon heute circa 60 Prozent der erneuerbaren Energien aus Stoffen wie Gülle, Mist, Lebensmittelabfällen und landwirtschaftlichen Produkten gewonnen. Aus dieser Biomasse wurden im Jahr 2019 laut des Umweltbundesamtes mehr als 50 Terawattstunden Biogas erzeugt. Das entspricht rund 12 Prozent des gesamten erneuerbaren Stroms. Jedoch können in Biogasanlagen nicht nur Strom, sondern auch Wärme und Biomethan für Kraftstoffe erzeugt werden.
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Biogas, auch Biomethan genannt, ist ein brennbares Gas, das in Biogasanlagen in großen Mengen hergestellt wird. Dies geschieht durch einen natürlichen Prozess, in dem organische Stoffe unter Ausschluss von Sauerstoff vergärt werden. Als organische Stoffe kommen Lebensmittelabfälle, Fäkalien aus der Landwirtschaft und nachwachsende Rohstoffe wie zum Beispiel Mais zum Einsatz. Im Gegensatz zum klassischen Erdgas handelt es sich beim Biogas also nicht um einen fossilen Brennstoff.

Mit dem gewonnenen Biogas wird Strom erzeugt, der dann für Heizungen, Gasherde oder Kraftfahrzeuge genutzt werden kann. Wie dieser Prozess funktioniert, erklärt Landwirt Christian Endreß, der eine Biogasanlage im mittelfränkischen Ulsenheim betreibt:
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Lagerstelle

Mais erzeugt besonders viel Energie, ist jedoch erst ab der Erntezeit im September verfügbar.

Lagerstelle

Mist von Schweinen, Rindern, Pferden und vielen weiteren Tieren ist das am häufigsten verwendete Material in Biogasanlagen.

Fermenter

Die angelieferten Rohstoffe werden durch Bakterien vergärt, wodurch verschiedene Gase entstehen. Diese werden an das Blockheizkraftwerk weitergeleitet.

Blockheizkraftwerk

Durch die in der Gärung entstandenen Gase wird ein Motor betrieben, der durch Drehbewegung Strom erzeugt. Als Nebenprodukt entsteht durch den Betrieb des Motors Wärme.

Reststoffe

Nachdem die Rohstoffe komplett verarbeitet wurden, können die Reststoffe von Landwirten als Dünger genutzt werden.

Speicherstelle

Falls im öffentlichen Netz kein Bedarf an Strom oder Wärme besteht, können die durch Gärung entstandenen Gase bis zu ihrer Weiterverarbeitung gespeichert werden.

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Bioenergie in Deutschland

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Als Primärenergieträger werden Energiequellen bezeichnet, die direkt aus der Natur gewonnen können. Dazu gehören zum Beispiel Holz, Steinkohle, Wind und sämtliche Formen von Biomasse. 2018 lag der Primärenergieverbrauch von Biomasse in Deutschland nach Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen anteilig bei 6,4 Prozent. Der Verbrauch von Windkraft betrug im Vergleich dazu nur drei Prozent.

Auf 1,35 Millionen Hektar der deutschen Landwirtschaftsfläche – das entspricht etwa der Größe Schleswig-Holsteins – werden nachwachsender Rohstoffe für die Biogasproduktion angebaut. Dabei ist der Mais mit rund 65 Prozent die am meisten angebaute Nutzpflanze für Biogas.

Deutschlandweit werden derzeit etwa 9.500 Biogasanlagen betrieben. In Bayern stehen rund 2.600 davon. Diese erzeugen jährlich bis zu 50,5 Terawattstunden Strom, was zum Beispiel ausreicht, um alle Privathaushalte Baden-Württembergs ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. Acht Prozent trägt Biogas damit laut dem Bayerischen Bauernverband anteilig zum direkten Strom- und Gasverbrauch in Bayern bei.
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Die steigende Preise für Ackerland, der Einstieg von Großinvestoren und zunehmende Monokulturen haben das einst gute Image der Biogasanlagen beschädigt.  

Je mehr Biogasanlagen es in einer Region gibt, desto teurer ist auch das Ackerland in der Umgebung. Der Grund: Die dort angebauten Nutzpflanzen können gewinnbringend an Biogasanlagen verkauft werden. Für landwirtschaftliche Betriebe, die Viehzucht betreiben und Futter für ihre Tiere anbauen, sind die Preise jedoch zu hoch. Der Ackerbau rentiert sich für sie nicht mehr.  

Ein weiteres Problem: Beim Anbau von Biogaspflanzen entstehen immer mehr Monokulturen. So wird auf vielen Feldern zum Beispiel ausschließlich Mais angebaut, der besonders gut verkauft werden kann. Dem Boden werden dadurch langfristig Mineralien entzogen, wodurch er zunehmend unfruchtbar wird. Auch auf die Artenvielfalt in der jeweiligen Region hat das negative Auswirkungen.

Trotzdem haben Biogasanlagen Vorteile gegenüber anderen erneuerbaren Stromerzeugern. Dr. Wilhelm Böhmer, Direktor des Bayerischen Bauernverbands für Franken erklärt, welche das sind:
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In der Öffentlichkeit werden Landwirte für das Sterben verschiedener Insektenarten, wie nicht zuletzt der Biene, verantwortlich gemacht. Unabhängig davon, ob diese Anschuldigungen berechtigt sind, leidet darunter das Image der Landwirte. Durch Protestaktionen signalisieren Landwirte aktuell ihre düsteren Aussichten für die Zukunft: Sie stellen grüne Kreuze auf den Felder auf oder blockieren den Stadtverkehr mit ihren Traktoren. Allein in Bayern mussten in den letzten zehn Jahren mehr als 14.000 landwirtschaftliche Betriebe, aufgrund von strengeren Auflagen und ständig neuen Reglementierungen, schließen.
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Das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) setzte im Jahr 2000 eine zwanzigjährige Förderung für Biogasanlagen fest. Über diese erhalten Betreiber von Biogasanlagen seither einen Festpreis in Höhe von 13 Cent pro Kilowattstunde Strom – ohne Förderung wären es gerade einmal drei Cent.

Für viele Biogasanlagen laufen diese Förderungen Ende 2020 jedoch aus. Für eine Vielzahl der Betreiber werden ihre Anlagen dann nicht mehr wirtschaftlich sein und sie werden schließen müssen. Das trifft nicht nur die Betreiber: Auch die Bauern, die ihre Produkte unter anderem an Biogasanlagen liefern, verlieren dadurch ihre Haupteinnahmequelle. Der Bayerische Bauernverband geht davon aus, dass  in den nächsten Jahren immer mehr landwirtschaftliche Betriebe schließen werden.

Für den Privatverbraucher bedeutet das: höhere Strompreise, Import von nicht ökologisch hergestellten Lebensmitteln aus dem Ausland sowie eine zunehmende Arbeitslosigkeit im landwirtschaftlichen Sektor. Der Bauernverband will dieser Entwicklung entgegenwirken und das Image von Biogasanlagen aufbessern, wie Dr. Wilhelm Böhmer erklärt:
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Biokohle

Schon vor über 2000 Jahren haben Ureinwohner im Amazonasgebiet Schwarzerde mithilfe von verbrannten Rohstoffen hergestellt. Das Würzburger Start-up Circular Carbon hat das Potenzial von Pflanzenkohle neu entdeckt
und gewinnt das vielfältige Naturmaterial aus Reststoffen der Schokoladenindustrie.

Etwa 13 Millionen Tonnen biogene Reststoffe fallen in der deutschen Lebensmittelindustrie jährlich an. Das zeigt eine Studie der Hochschule Bremen und der Universität Gießen. Dazu kommen große Mengen an Grünabfällen und Holzresten aus der Land- und Forstwirtschaft. Häufig bleiben diese wertvollen Reststoffe ungenutzt. Der Würzburger Unternehmensgründer Felix Ertl hat dieses Potenzial erkannt: Mit seinem Start-Up Circular Carbon verarbeitet er Kakaoschalen aus der Schokoladenproduktion zu nährstoffreicher Pflanzenkohle. Diese kann zum Beispiel als Futtermittel oder Bodenverbesserer eingesetzt werden – und die Möglichkeiten der Pflanzenkohle sind damit noch lange nicht ausgeschöpft.
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Felix Ertl hat Maschinenbau an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt studiert. Bei seinem Master-Studium der nachhaltigen Verfahrenstechnologie in Schweden vertiefte er dann seine Kenntnisse in der Thermodynamik. Schon während des Studiums war für ihn klar, dass sein zukünftiger Beruf seinen ideologischen Vorstellungen entsprechen muss.

Das oberste Ziel des Gründers: die natürliche Lebensgrundlage auf der Erde für künftige Generationen erhalten. Der Einklang von Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Erfolg ist deshalb integraler Bestandteil seiner Unternehmensphilosophie. Mit Pflanzenkohle aus biologischen Reststoffen trägt sein Unternehmen Circular Carbon dazu bei, Treibhausgase zu reduzieren und leistet so einen Beitrag zum Umweltschutz.


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Für die Produktion der Biokohle nutzt das Unternehmen Kakaoschalen, die bei der Produktion von Kakaopulver und Kakaobutter anfallen. Alleine in einer Hamburger Schokoladenfabrik sind das 15.000 Tonnen Kakaoabfall – am Tag. Felix Ertl erklärt wie die Kakaoabfälle dann zu Kohle werden:


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Das Vorherbild zeigt die Kakaoschalen und Reststoffe der Schokoladenindustrie. Im Prozess der Karbonisierung entsteht aus dem Biorohstoff die Pflanzenkohle. Ihre Eigenschaften machen die Pflanzenkohle zu einem wertvollen Biomaterial, wie Felix Ertl im Interview erläutert:

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Die Eigenschaften der Pflanzenkohle können während der Herstellung über verschiedene Parameter bestimmt werden.
So haben die Temperatur, die Prozessdauer und die Aufwärmgeschwindigkeit Auswirkungen auf die fertige Biokohle: Wenn die Kohle zum Beispiel vor allem Mineralstoffe binden soll, muss sie bei niedrigen Temperaturen durchglühen. Bei höheren Temperaturen steigt wiederum die Stabilität der Pflanzenkohle.
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Pflanzenkohle bietet in der Anwendung eine Vielzahl von Möglichkeiten. So kann sie zum Beispiel als Dämmstoff oder Industriematerial, aber auch in Kosmetik oder Arzneimitteln eingesetzt werden. Circular Carbon hat sich auf zwei Anwendungsbereiche spezialisiert: Ihre Biokohle kommt als Futtermittel und Bodenverbesserer zum Einsatz.
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Als Futterzusatz für Kühe wirkt sich Pflanzenkohle positiv auf die Umwelt aus: Der Bauer mischt die Pflanzenkohle in das Futter der Kühe. Im Verdauungstrakt der Tiere bindet sie Bakterien und fördert so eine gesunde Darmflora. Dadurch wiederum muss der landwirtschaftliche Betrieb weniger Antibiotika einsetzen. Zusätzlich werden Treibhausgase eingespart, denn durch den Einsatz der Futterkohle stoßen die Kühe nur halb soviel Methan aus. Auch die Geruchsbelastung für die Anwohner sinkt dadurch.

Wird die Kohle von den Tieren schließlich wieder ausgeschieden, landet sie entweder direkt auf der Weide oder, in Form von Gülle, auf den landwirtschaftlichen Ackerflächen. In beiden Fällen gelangen ihre Nährstoffe in den Boden und fördern so das Pflanzenwachstum. 
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Immer öfter kommt es infolge der Klimaerwärmung zu Dürreperioden, die für Böden und damit auch für Bäume eine große Belastung darstellen. Die Stadt Würzburg möchte in Kooperation mit Circular Carbon die Stadtbäume für das zukünftige Klima rüsten und hat dafür ein Konzept zur Klimaanpassung ausgearbeitet.

Grundlage dieses Konzepts ist ein spezieller Strukturboden. Er verhindert, dass sich der Boden verdichtet, also verformt. Dadurch wird er belastbarer. Der Strukturboden setzt sich aus größeren Gesteinen mit geschützten Hohlräumen zusammen, in die dann Pflanzenkohle und Kompostmischungen eingespült werden. Die Pflanzenkohle funktioniert hier wie ein Schwamm: Sie speichert Wasser im Boden und hält es bei Starkregen zurück. Gleichzeitig bindet die Kohle wichtige Nährstoffe. Damit fördert die Pflanzenkohle das Wachstum der Bäume und hilft, ihren natürlichen Lebensraum wiederherzustellen.
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Nachhaltig wohnen

Holzhäuser sind winddicht, besonders gut wärmeisoliert und schützen das Klima. In der Baubranche steigt das Umweltbewusstsein und damit auch die Anzahl an Wohngebäuden aus Holz.

Laut Statistischem Bundesamt wurden 2019 in Deutschland rund 22.300 Neubauten in Holzbauweise genehmigt – fast 10.000 mehr als noch vor zehn Jahren. Damit wird derzeit fast jedes fünfte neue Haus aus Holz gebaut. Steigt dieser Anteil weiter, könnte der Holzbau in den kommenden Jahren einen erheblichen Teil zum Erreichen der Klimaschutzziele leisten, erklärt Ulf Rössler vom Münchner Architekturbüro dressler mayerhofer rössler:
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Nicht nur in Form von Bauholz haben Bäume einen beachtlichen Klimaschutz-Effekt: Mittels Photosynthese können sie in ihrer Wachstumsphase enorme Mengen des umweltschädlichen Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre binden. Allein eine 25 Meter hohe Fichte mit einem Durchmesser von 45 Zentimetern bindet jährlich etwa 1.800 Kilogramm CO2, wie eine Berechnung der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft zeigt. Das entspricht rund 10.000 Kilometern Fahrt in einem durchschnittlichen PKW.  

Werden die Bäume dann zu Bauholz und schließlich zum fertigen Holzhaus weiterverarbeitet, dient das Holz als wertvoller CO2-Speicher, während im Wald neue Bäume der Atmosphäre CO2 entziehen. Sofern regionales Holz zum Einsatz kommt, das keine unnötigen Transportwege verursacht, ist der Holzbau damit nahezu klimaneutral.
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Baugemeinschaft "Der kleine Prinz" im Prinz-Eugen-Park.
Baugemeinschaft "Der kleine Prinz" im Prinz-Eugen-Park.
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Ein Paradebeispiel für erfolgreiches Bauen und Wohnen mit Holz ist die ökologische Mustersiedlung im Münchner Prinz-Eugen-Park. Seit 2017 entstehen dort nach und nach 570 Wohnungen in unterschiedlichen Holzbauprojekten – die bislang größte zusammenhängende Holzbausiedlung in Deutschland. Auch soziale Aspekte stehen bei dem Projekt im Fokus. So waren am Bau nur städtische Baugesellschaften beteiligt, um hohe Mietpreise durch Privatinvestoren zu vermeiden und jeder Einkommensschicht das Wohnen in der Mustersiedlung zu ermöglichen.  

Auch das Architekturbüro dressler mayerhofer rössler hat aktiv an dem Projekt im Prinz-Eugen-Park mitgewirkt. Ulf Rössler berichtet bereits von positiven Rückmeldungen der ersten Bewohner: „Es ist unglaublich, was für eine Ausstrahlung dieser Baustoff hat“, so der Architekt.

Quelle Bilder: Michael Nagy / Landeshauptstadt München
Baugemeinschaft "Der kleine Prinz" im Prinz-Eugen-Park.
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Ein weiterer Punkt, der zunächst für das Holz als Baustoff zu sprechen scheint: Die Materialkosten sind im Vergleich zum konventionellen Bau relativ gering. Jedoch fallen auch zusätzliche Ausgaben an: Die Holzbauweise erfordert im Vorfeld eine äußerst präzise und intelligente Planung, zum Beispiel beim Verlegen von Leitungen oder dem Einhalten von Brandschutzregeln. Außerdem werden fast ausschließlich ausgebildete Fachkräfte eingesetzt. Diese Zusatzkosten seien jedoch eine Investition in die höhere Qualität des Holzbaus, wie Rössler erklärt:
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Auch um den Baumbestand müsse man sich laut Rössler keine Sorgen machen. Nur ein Bruchteil der derzeit erwirtschafteten Gesamtmenge an Holz werde für den Bau verwendet. Außerdem könnten zahlreiche Baustoffe aus Holzabfällen hergestellt werden, die sonst im Wald verfaulen würden. So werden Sturmholz und andere Holzreste zum Beispiel für Dämmstoffe oder bestimmte Faserplatten wiederverwertet – und machen den Holzbau damit zur ressourcenschonenden Baualternative.
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Bierkohle

Mit dem Sommer beginnt die Grillsaison. Obwohl immer mehr Verbraucher auf nachhaltigen Konsum achten, ist den wenigsten bewusst: Auch beim Grillen wird die Umwelt erheblich belastet.

Grund dafür ist die Holzkohle, die laut einer Studie des Unternehmens für Marktforschung Nielsen bei den meisten Deutschen den Grill anheizt. Das Fraunhofer-Institut UMSICHT hat aus Brauereiresten eine nachhaltige Alternative entwickelt. Projektmanager Fabian Stenzel erklärt, warum der Holzkohleersatz dringend gebraucht wird:
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Ein großer Kritikpunkt an der deutschen Holzkohle ist also, dass sie überwiegend aus tropischen Ländern importiert wird. Eine Marktanalyse des WWF in Zusammenarbeit mit der ARD deckte im Jahr 2018 auf, unter welchen Bedingungen in Ländern wie Nigeria und Paraguay Holz gewonnen wird: Die Holzkohleproduktion führt dort nicht nur zu einer sehr hohen Abholzungsrate, sondern auch zur illegalem Abholzung und so zum Raubbau an den Wäldern.  

Gleichzeitig gibt es in der EU für den Import von Holzkohle keine Kontrollinstanz. Es wird also auch nicht behördlich geprüft, ob die nach Deutschland importierte Holzkohle legal produziert wurde. Umso wichtiger ist es für umweltbewusste Verbraucher, selbst auf die Herkunft ihrer Grillkohle zu achten. Das Umweltbundesamt empfiehlt Holzkohle mit einem FSC-Siegel. Dieses garantiert unter strengen Kontrollen, dass das verwendete Holz aus einer nachhaltigen Forstwirtschaft stammt.
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Mittlerweile finden sich im Handel aber auch immer mehr Alternativen zur Holzkohle, zum Beispiel Grillkohle aus Oliven oder Mais. Aus jedem Rohstoff, in dem Kohlenstoff als Basis steckt, ließe sich grundsätzlich ein Brennstoff machen, erklärt Lars Droese, Geschäftsführer des Holzkohlewerks Lüneburg. Das sei allerdings nicht immer sinnvoll, weil vor der Produktion sämtliche Fremdstoffe entfernt werden müssten. Wirtschaftlicher und umweltfreundlicher sei es daher, „Abfallprodukte“ zu Brennstoffen weiterzuverarbeiten. So bietet das Holzkohlewerk Lüneburg zum Beispiel Grillbriketts aus Kokosschalen an:
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Allerdings spielt die Herkunft der Rohstoffe auch bei vermeintlich nachhaltigen Holzkohle-Alternativen eine nicht unerhebliche Rolle. Die oft langen Transportwege wirken sich negativ auf die Klimabilanz der Produkte aus, wie Fabian Stenzel von Fraunhofer UMSICHT deutlich macht. Dabei stellt er vor allem Grillkohle aus Oliven und Kokos in Frage:
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Die Idee zur ‚Bierkohle‘ kam dem Fraunhofer-Institut UMSICHT zusammen mit dem Holzkohlewerk Lüneburg und der Münchner Brauerei Schneider Weisse. Denn nicht nur Schneider Weisse, auch viele andere Brauereien haben mit einem Problem zu kämpfen: Sie finden keine Abnehmer für ihre Braumalz-Rückstände, den sogenannten Biertreber.  

Biertreber ist sehr eiweiß- und ballaststoffhaltig und wird in der Landwirtschaft als Futtermittel eingesetzt. Weil er schnell verdirbt, entsteht jedoch vor allem in großstädtischen Regionen häufig ein Biertreber-Überschuss. Zusätzlich erschweren gesetzliche Futtermittel-Restriktionen eine langfristige Nutzung der Brauerei-Abfälle. So bleiben die Reststoffe oft ungenutzt und müssen von den Brauereien aufwendig entsorgt werden.
Hans-Peter Drexler, Braumeister und technischer Betriebsleiter bei Schneider Weisse beschreibt, um welche Ausmaße es sich handelt:
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Mit dem sogenannten thermo-katalytischen Reforming (TCR) hat das Fraunhofer-Institut ein Verfahren entwickelt, mit dem Reststoffe aus der Industrie oder Landwirtschaft unter anderem zu Biokohle verarbeitet werden können. Mit dem Bierkohle-Projekt liefert das Institut einerseits eine nachhaltige Alternative zur Holzkohle und unterstützt andererseits die Brauereien bei der Entsorgung. Der Biertreber wird dafür getrocknet, entwässert und mit Hilfe des TCR-Verfahrens in Kohle umgewandelt. Aus den Gasen, die dabei entstehen, wird zudem Energie gewonnen, die der Brauerei in Form von Strom und Wärme wieder zugeführt wird.
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Das Ergebnis kann sich grillen lassen: Die Bierkohle ist rauchfrei und weist hohe Grilltemperaturen auf, um lange grillen zu können. Dem Kunden entstehen im Vergleich zur Holzkohle also keine qualitativen Nachteile. Preislich wird sich die Grillkohle am Premium-Segment orientieren. Auch Fabian Stenzel betont, wie wichtig die Qualität der Kohle ist. Denn sie ist neben der Klimabilanz entscheidend, um die neue Grillkohle erfolgreich auf den Markt zu bringen:
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Verwertung problematischer Abfälle

Wenn Ende 2020 die staatlichen Förderungen ablaufen, müssen Windparkbetreiber in Deutschland tausende Windkraftanlagen zurückbauen. Kein geeignetes Recyclingverfahren existiert bislang für die entstehenden Abfälle. Wird der Hoffnungsträger der Energiewende zur Last?
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Deutschland ist mit rund einem Drittel aller europäischen Windenergieanlagen Windenergiemeister. Noch machen knapp 30.000 installierte Anlagen aus Wind Energie – doch das wird sich ändern. Denn 2020 endete für rund 5.000 Anlagen die Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG.
Eine Studie des Umweltbundesamts prognostiziert einen verstärkten Rückbau von Windkraftanlagen und warnt vor Engpässen bei den Recyclingkapazitäten. Doch nicht nur die ablaufende EEG-Förderung ist ein möglicher Grund dafür, dass bald zahlreiche Anlagen abgebaut werden könnten. Lars Schnatbaum-Laumann von der EnergieAgentur.NRW erläutert:
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Beim Rückbau einer Windkraftanalage fallen neben Beton, Stahl und Kupfer auch Glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK) oder Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff (CFK) als Abfall an. Diese sogenannten Verbundmaterialien sind vor allem in den Rotorblättern der Windräder verbaut. Jedoch können sie mit bestehenden Verfahren nur schwer recycelt werden, da ihre einzelnen Bestandteile nicht vollständig wieder voneinander getrennt werden können.

Zwar kann die Glasfaser aus GFK-Abfällen als Sandersatz in Zementwerken wiederverwertet werden, der übrige Kunststoff wird jedoch nur energetisch recycelt, also verbrannt. CFK-Anteile werden bislang nicht einmal in die Verbrennungsanlage gegeben, da sie diese beschädigen können. Die Beseitigung dieser Abfälle könnte zum Problem werden. 
Frank Kreimer, Geschäftsführer der Hagedorn Abbruchservice GmbH, warnt vor den Folgen unsachgerechter Entsorgung:
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Die Rahmenbedingungen für einen sachgerechten Abbau regelt seit Juli 2020 die Norm DIN SPEC 4866. Mit dem Branchenstandard veröffentlichte das Deutsche Institut für Normung e.V. die europaweit ersten Leitlinien zum Rückbau von Windenergieanlagen.  

Für die Betreiber bleibt der Rückbau dennoch ein Problem, vor allem in finanzieller Hinsicht: Nach Aussage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie kostet der Rückbau einer Windkraftanlage durchschnittlich rund 80.000 Euro pro Megawattstunde. Zum Vergleich: Eine Windkraftanlage mit einem Megawatt Leistung erwirtschaftet bei 1.800 Volllaststunden im Jahr ca. 16.600 Euro Nettogewinn. Laut Kreimer variieren die Kosten für den Rückbau allerdings stark in Abhängigkeit von Standort, Typ, Zustand, Alter und Wiederverwertbarkeit der Anlage.
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Prognosen des Umweltbundesamts unterstreichen den Ernst der Lage: Durch abgebaute Rotorblätter werden in Zukunft jährlich bis zu 70.000 Tonnen GFK/CFK-Abfälle entstehen. Gegenwärtig fällt ungefähr ein Viertel dieser Menge an. Dazu kommt: In Deutschland gibt es bislang nur eine einzige Verwertungsanlage für die problematischen Abfälle.

Die Herausforderung bestehe darin, „ein wirtschaftliches und vor allem ressourceneffizientes Verfahren für das Recycling von glas- und kohlefaserverstärkten Kunststoffen zu entwickeln“, macht auch Alexander Hofmann, Gruppenleiter Recyclingtechnologien bei Fraunhofer UMSICHT, deutlich. Eine vollständige Kreislaufwirtschaft sieht er in naher Zukunft als unrealistisch:
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Wie lassen sich im Gesundheitsbereich herkömmliche Kunststoffe ressourcenschonend ersetzen? Das Süddeutsche Kunststoff-Zentrum in Würzburg forscht an Biopolymeren. Warum der Weg in die Klinik weit ist.
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Nierenschalen, OP-Tücher, Verpackungen – in der Medizin ist die Nutzung von Einwegprodukten häufig aus Gründen der Sterilität vorgeschrieben. Doch lassen sich herkömmliche, petrochemische Materialien durch nachhaltigere Alternativen ersetzen? Der Medizintechniker Markus Eblenkamp von der TU München arbeitet an der Entwicklung ressourcenschonender Materialien. Der Medizinprodukte-Sektor, sagt er, könne eine Pilotfunktion übernehmen: Viele Medizinprodukte ließen sich mit vergleichsweise geringen Materialmengen herstellen. Zudem würden sie in hohen Margen produziert, die vom Rohstoffpreis unabhängig sind.
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Dass der Bedarf an nachhaltigen Alternativen im Gesundheitssektor vorhanden ist, zeigt auch die Forschung. So wird auch für den medizinischen Bereich bereits an Kunststoffen geforscht, die aus nachhaltigen Rohstoffen hergestellt werden können, sogenannten Biopolymeren. Dazu zählen zum Beispiel das aus Braunalgen gewonnene Alginat oder Chitosan, ein Biopolymer, das unter anderem aus Krabbenschalen hergestellt werden kann. Beide zeichnen sich durch ihre Biokompatibilität aus, sind also für Patienten gut verträglich. So kann Alginat für medizinische Wundauflagen verwendet werden und aus Chitosan lässt sich chirurgisches Nahtmaterial fertigen, das sich von selbst im Körper abbaut.

Auch Polyactid (PLA) und Polyhydroxyalkanoate (PHA) zählen dazu. Während PLA auf der Basis von Maisstärke und Milchsäure hergestellt wird, werden PHA von Bakterien als Energiereserve produziert. Beide Biopolymere werden intensiv erforscht und sind vereinzelt schon für die Verwendung im medizinischen Bereich zugelassen.
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Auch das Süddeutsche Kunststoff-Zentrum (SKZ) in Würzburg forscht an Biopolymeren und ihren potenziellen Einsatzgebieten im medizinischen Bereich. Johannes Rudloff, stellvertretender Leiter des Bereichs Materialentwicklung, Compoundieren und Extrudieren, nennt aktuell vor allem resorbierbare Implantate wie Schrauben oder Nahtmaterial. Doch auch für Gehäuse von medizinischen Geräten oder für Verpackungen könnte das Material in Zukunft zum Einsatz kommen, sagt Rudloff.

Gerade im Verpackungsbereich ist der Umstieg auf die nachhaltige Alternative naheliegend: Die Produkte haben meist eine geringere Lebensdauer und werden nach einmaliger Benutzung recycelt oder entsorgt. "Anders als bei Produkten, die mehrere Jahrzehnte im Einsatz sind, ist hier keine aufwendige Erforschung von Langzeiteigenschaften der eingesetzten Biopolymere nötig", erklärt der Materialentwickler des SKZ.
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Die Theorie klingt vielversprechend, doch wie sieht es mit der tatsächlichen Anwendung solcher Produkte aus? Nachhaltigkeit sei ein wichtiger Faktor, sagt Susan Lindner vom Hygiene Technologie Kompetenzzentrum, Teil der Unternehmensgruppe Sozialstiftung Bamberg. Doch in der Praxis hätten derzeit oft andere Faktoren Vorrang.
In Krankenhäusern wie dem Klinikum in Bamberg stünden Aspekte wie die praktische Anwendung und die Risikobewertung noch über der Umweltverträglichkeit. So könnten zum Beispiel neue, nachhaltige Produkte umständlicher in der Handhabung sein und damit eine Fehlerquelle sein, sagt Lindner. Als Beispiel führt sie ein umweltfreundliches Reinigungsmittel an, das sich in der Anwendung möglicherweise von herkömmlichen Produkten unterscheidet und damit reibungslose Abläufe im Klinikalltag stört.

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Von Seiten der Anwender sprechen also trotz der generellen Bereitschaft zu mehr Nachhaltigkeit noch Funktionalität, Praktikabilität und der Kostenfaktor gegen umweltfreundlichere Medizinprodukte. Und auch der Preis für nachhaltige Materialien liegt noch über dem für konventionelle Produkte. Rudloff erklärt wie man kostengünstiger produzieren könnte:

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Auch die produzierende Pharmaindustrie stehe, laut Aussage eines Ingenieurs aus der Branche, der anonym bleiben möchte, unter so einem enormen wirtschaftlichen Druck, dass der Einsatz der teureren biologischen Kunststoffe noch nicht möglich sei. „Auch in der Pharmaindustrie ist das Thema Nachhaltigkeit mehr in den Mittelpunkt gerückt, doch sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus regulatorischen Gründen ist ein Einsatz von Biokunststoffen noch nicht ohne weiteres möglich“, sagt er. Dennoch sei der Wille auch in seinem Unternehmen da und sowohl bei der Entwicklung neuer als auch bei der Produktion bestehender Produkte spiele die Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle.
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Relevant für beide Seiten sind der Gesundheitsschutz und die komplexen Regularien. Diese aufwendigen Prüf- und Zertifizierungsverfahren sind neben den Kosten eine weitere Hürde für Biokunststoffe im Medizinsektor. Doch beide Probleme lassen sich laut Rudloff mit einer fortschreitenden Entwicklung und Produktion in Zukunft lösen:
Bei der Zulassung als Medizinprodukt stehe den Biokunststoffen eigentlich nichts im Wege. Die Richtlinien, welche die Zulassungsvoraussetzungen für Biopolymere in der Medizintechnik festlegen, unterscheiden häufig nicht zwischen biobasierten oder petrochemischen Materialien. Prinzipiell spreche laut Rudloff deshalb nichts gegen die Zulassung von Medizinprodukten aus Biokunststoffen. Das Hauptproblem sei vielmehr die geringe Erfahrung mit den noch recht jungen Werkstoffen. Oft seien Zulassungen schlicht noch nicht vorhanden und bestimmte Aspekte noch nicht ausführlich genug erforscht. Das könne sich jedoch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ändern.


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Selbst der Kostenaspekt werde in den nächsten Jahren nach Rudloffs Einschätzung ein immer geringeres Problem: „Je höher die Kapazitäten sind, in denen Biopolymere produziert werden, desto effizienter und wirtschaftlicher wird die Herstellung.“ Laut der Studie "Bio-based Building Blocks and Polymers" des nova-Instituts für Ökologie und Innovation betrug die Gesamtproduktionsmenge biobasierter Kunststoffe 2018 7,5 Millionen Tonnen. Das entspricht gerade einmal zwei Prozent der Produktionsmenge petrochemischer Kunststoffe. Doch das SKZ ist zuversichtlich, dass der Marktanteil der Biopolymere auf dem Kunststoffmarkt innerhalb der nächsten fünf Jahre weiterhin deutlich wachsen wird.
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Nicht nur das Potenzial für mehr Nachhaltigkeit im medizinischen Sektor, auch die Bereitschaft von Herstellern und Anwendern sowie geeignete Lösungen sind vorhanden. Die Entwicklung steht allerdings noch am Anfang und wird noch einige Hürden zu bewältigen haben.

Essenziell für die Lösung der bestehenden Probleme ist für Rudloff insgesamt die kontinuierliche Erforschung der Biopolymere: Von der Grundlagenforschung über die vorwettbewerbliche Forschung bis hin zur industriellen Forschung, bei der ein Prototyp für die eigentliche Anwendung entwickelt wird. Das zu unterstützen sei Aufgabe der Politik:


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Durch ein steigendes Verbraucherbewusstsein für Umwelt, Tierwohl und Gesundheit greifen Konsumenten immer häufiger zu Fleischersatzprodukten. Soja, Erbse, Jackfruit – die Basis für die Alternativen ist ganz unterschiedlich. Ein genauer Blick auf die Zutatenliste lohnt sich.

Öffnet man die Verpackung des „Lotao Jackfruit Currys“, strömt einem der Geruch von orientalischen Gewürzen in die Nase – ein Hauch von Schärfe. „Die neue Alternative zu Fleisch“ steht auf der Packung. Die dunkelbraun marinierten Fleischersatz-Stücke sind faserig, weich  und gut gewürzt – und erinnern an Rindfleischstücke in einem Gulasch. Aber: Es ist Jackfruit. Noch nicht allzu lang reiht sich die Tropenfrucht in die Auswahl an Veggie-Burgern oder vegetarischem Aufschnitt ein. Viel über die Frucht aus dem asiatischen Raum wissen die meisten Konsumenten bislang nicht. Dabei liefert sie gute Gründe, auf Fleisch zu verzichten.
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Die Jackfruit, auf deutsch auch Jakobsfrucht genannt, beinhalte keine Allergene, habe einen sehr hohen Ballaststoffanteil und sehr wenige Kalorien, sagt Stefan Falk,
Gründer des Unternehmens Lotao aus Berlin. Die größte an Bäumen wachsende Frucht ist, noch unreif geerntet, weitgehend geschmacksneutral. Der Kunde bekommt sie in Salzlake eingelegt sowie als Curry oder Geschnetzeltes zubereitet. Manko der Frucht: ihr niedriger Proteinanteil. Und dass sie bereits etliche Kilometer aus Bangladesch oder Thailand zurückgelegt hat, bevor sie auf unseren Tellern
landet.
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Die Jackfruits von Lotao stammen aus einer Kooperative in Indien, die Fairtrade, Bio, sowie Naturland- und Demeter-zertifiziert ist – Stefan Fak legt Wert auf eine sozial- und ökologisch nachhaltige Wertschöpfungskette. Demgegenüber stehen Monokulturen und Früchte aus nicht zertifiziertem Anbau. Beim Kauf von Fleischersatz aus Jackfruit ist es also Aufgabe der Konsumenten, auf die Anbaubedingungen zu achten. Trotz des langen Transportweges schneide die Jackfruit in Bezug auf ihre Ökobilanz immer noch besser ab als ein Stück Fleisch, meint Hugo Lamers vom Forschungsinstitut Bioversity International in einem Interview mit dem Risolier.

Beim Kauf von Fleischersatz aus Jackfruit sollten die Konsumenten auf die Anbaubedingungen achten. Sind die Früchte fair gehandelt und tragen sie Bio-Siegel? Oder kommen sie aus Monokulturen und nicht zertifiziertem Anbau? Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Ökobilanz von pflanzlichen Fleischersatzprodukten gibt es bislang nur in Bezug auf Soja. Eine Studie des Umweltbundesamts (UBA) kam gerade zu dem Ergebnis, dass für die Produktion eines Kilogramm Fleischersatz auf Sojabasis 2,8 Kilogramm Treibhausgase ausgestoßen werden. Zum Vergleich: Für Schweinefleisch liegt der Wert bei 4,1 kg, für Geflügel bei 4,3 kg und für ein Kilogramm Rindfleisch sogar bei 30,5 kg.
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Im Einkaufskorb landen die Fleischalternativen jedenfalls immer öfter: Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge essen nur noch 26 Prozent der Befragten täglich Fleisch oder Wurst, vor fünf Jahren waren es noch 34 Prozent. Knapp die Hälfte hat schon mal zu vegetarischen Alternativen gegriffen.
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„Fleisch enthält wertvolle Nährstoffe wie hochwertiges Protein, die Mineralstoffe Eisen, Zink und Selen sowie B-Vitamine wie Vitamin B12“, sagt Silke Restemeyer, Pressereferentin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Als Teil der vollwertigen Ernährung kann eine kleine Menge Fleisch die Versorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen erleichtern. Dafür reicht eine wöchentliche Menge von insgesamt 300 Gramm für Erwachsene mit niedrigem Kalorienbedarf aus“. Wer auf
Fleisch verzichtet, sollte der DGE zufolge durch eine ausgewogen und abwechslungsreiche Ernährung mit Milch- und Milchprodukten, Eiern, Gemüse und Hülsenfrüchten, Obst, Vollkornprodukten, Nüssen und Samen die Versorgung mit
allen wichtigen Nährstoffen sicherstellen.
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Und Fleischersatzprodukte? Einige der im Handel erhältlichen Produkte enthalten Aromen, Geschmacksverstärker oder Konservierungsstoffe – laut Silke Restemeyer „ernährungsphysiologisch daher nicht besonders günstig zu bewerten“. Wieder ist der Konsument gefordert: „Eher zu Produkten greifen, die eine kürzere Zutatenliste haben und nicht so stark verarbeitet sind", rät die DGE-Sprecherin. "Und natürlich: Auf Lebensmittel zurückgreifen, die regional angebaut sind – wie Lupinen- oder Erbsenproteine."

Die beispielsweise gehören zum Angebot des Unternehmens amidori aus Bamberg: Mithilfe eines vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising entwickelten Verfahrens stellt das Unternehmen Fleischersatz auf der Basis von Erbsenproteinen her. „Es ist unser Anspruch, daran zu forschen, wie wir Fleischersatz nachhaltiger gestalten können", sagt Raffael Osen, Abteilungsleiter Verfahrensentwicklung beim Freisinger Fraunhofer-Institut. "Also zum Beispiel Pflanzenrohstoffe verwenden, die hier auf dem Feld wachsen. Lupine ist da eine super Möglichkeit.“ Die Hülsenfrucht mit 40 Prozent Proteinanteil lässt sich regional und auf nährstoffarmen Böden anbauen. Ähnlich wie die Erbse, die seit 2015 die Basis für die Pflanzenproteine von amidori ist.
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Gerade mit Blick auf die heimischen Anbaumöglichkeiten wird der Unterschied zum Fleisch deutlich: „Normalerweise wird auf diesen Flächen Kraftfutter für Tiere angebaut", sagt Osen. "Da werden sieben Kilogramm Pflanzenprotein benötigt, um ein Kilogramm Rindfleisch zu bekommen.“ Durch den Stoffwechsel der Tiere gingen nutzbare Proteine verloren, dazu werden mehr Treibhausgase ausgestoßen – teilweise sogar die zehnfache Menge gegenüber der Herstellung von Fleischersatz. „Wenn man die Saaten direkt nutzt, sich die Proteine rauszieht und sie zum Beispiel für Fleischalternativen verwendet, hat man den Umweg über das Tier nicht“, sagt der Verfahrenstechniker. „Nur so ist es machbar, die Ernährung unserer Gesellschaft auf lange Zeit sicherzustellen.“
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Klimaneutralität ist das Ziel. Doch was, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht? Eine mögliche Lösung: KWK-Anlagen. Die Schweinfurter Firma SenerTec zeigt wie. 

Die gesamte Energie für das eigene Haus selbst zu produzieren: Das wünschen sich viele Verbraucher nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Neben Photovoltaik oder Windanlagen gibt es eine weitere Möglichkeit: Kraft-Wärme-Kopplung, kurz KWK. Die Blockheizkraftwerke erzeugen gleichzeitig Strom und Wärme, ein Verbrennungsmotor treibt dabei einen Stromgenerator an. Die anfallende Abwärme wird dann für die Heizung und das Warmwasser genutzt.
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Fünf Kilowatt für Mehrfamilienhäuser

Der "Dachs" von SenerTec.
Der "Dachs" von SenerTec.
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Das in Schweinfurt ansässige Unternehmen SenerTec stellt solche KWK-Anlagen her. Über 37 000 hat die 1996 gegründete Firma nach eigenen Angaben inzwischen verkauft. Die Leistungen von fünf Kilowatt genüge für Mehrfamilienhäuser, sagt Hagen Fuhl, Kommunikationsleiter bei SenerTec. Eine KWK-Anlage sei wirtschaftlich und umweltfreundlich zugleich und quasi "Partnerin der erneuerbaren Energien": "Denn wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, übernimmt die Anlage die notwendige Lieferung von Wärme und Strom für das ganze Haus und das eigene E-Auto.“ Mit einer KWK-Anlage könne bis zu 50 Prozent Kohlendioxid und 36 Prozent fossiler Brennstoff eingespart werden.

Quelle Bilder: SenerTec Kraft-Wärme-Energiesysteme GmbH
Der "Dachs" von SenerTec.
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Aktuell wird jede zweite Anlage mit dem Brennstoff Gas betrieben, wie der KWK-Evaluierungsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2019 zeigt. Die Tendenz: steigend. Erdgas eigne sich aufgrund des bestehenden großen Netzes zur breiten Versorgung und biete eine gute Versorgungssicherheit, sagt Fuhl. Biomasse, also Biogas, wird für die Kraft-Wärme-Kopplung eher im industriellen Bereich eingesetzt.


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Als fossiler Brennstoff wird bei Erdgas jedoch noch große Mengen an CO2 ausgestoßen. Für die avisierte Klimaneutralität braucht es neue Energieträger: Der klimaneutrale Wasserstoff kommt ins Spiel. Über Elektrolyse-Prozesse kann dieses Gas mit Überschussenergie aus Photovoltaik und Wind erzeugt und dann ins bestehende Erdgasnetz eingebracht werden. So könne, sagt Fuhl, das Erdgasnetz immer grüner werden – und Wasserstoff als Brennstoff für KWK-Anlagen dienen. 
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In Brennstoffzellen findet Wasserstoff heute schon Verwendung. Der Wasserstoff reagiert hierbei mit einem Oxidationsmittel wie Sauerstoff. Die entstehende Reaktionsenergie wird in elektrische Energie umgewandelt und nebenbei ein geringer Teil Wärmeenergie freigesetzt. Deshalb eignen sich solche Zellen für Ein- oder Zwei-Familienhäuser, bei denen der Wärmebedarf nicht so groß ist. Die Firma SenerTec entwickelt in Zusammenarbeit mit zwei Hochschulen und dem Stadtwerk Haßfurt eine spezielle Anlage, den „Wasserstoff-Dachs“.
Die Herausforderung: Gerade am Anfang wird nur ein sehr geringer Anteil an Wasserstoff ins Gasnetz gemischt. Die Anlage soll sich dann ohne manuelle Einstellungen automatisch auf den Wasserstoffanteil anpassen und so immer die bestmöglichen Wirkungsgrade unter Einhaltung der Emissionsgrenzwerte erreichen. Damit wäre der "Dachs" komplett klimaneutral, sagt Hagen Fuhl. Das Ziel: ein emissionsfreier Gebäudebestand. In in paar Jahren soll der "Dachs" in einer neu gebauten Schule in Haßfurt eingesetzt werden, da die Stadt hier ihr Gasnetz bereits mit Wasserstoff speist. Foto: Eckhard
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Allerdings sollen KWK-Anlagen nicht mehr, wie zurzeit üblich, auf Dauerbetrieb laufen. Sabine Gores vom Freiburger Öko-Institut kritisiert die mangelnde Flexibilität größerer Anlagen mit mehreren 100 Megawatt: „Derzeit laufen solche Anlagen auch, wenn Erneuerbare Energien gerade wegen Netzengpässen abgeregelt werden. Der Betrieb erfüllt damit zum Teil vertragliche Versorgungsaufträge, er folgt aber auch verschiedenen ökonomischen Anreizen und betriebstechnischen Abwägungen.“ Es brauche bessere Anreizsysteme für regelbar betriebene Anlagen, die das Angebot der fluktuierenden Erneuerbaren Energien ausschließlich ergänzen.
Soll heißen: Es sollen Anlagen gebaut werden, die regulierbar sind. „Wir brauchen Anlagen, die nach links und rechts schauen und dann liefern, wenn kein Strom und keine Wärme von den erneuerbaren Energien kommt“, sagt Gores. Ähnlich sieht das Fuhl: „Die KWK hilft, die Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen. Damit kann die Versorgungssicherheit in Deutschland auch dauerhaft gewährleistet werden“. Laut KWK-Evaluierungsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums werden heute bereits 19 Prozent des deutschen Gesamtstrombedarfs durch Kraft-Wärme-Kopplung sichergestellt.
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KWK-Anlagen eignen sich beispielsweise gut für dichte Siedlungsgebiete. Bei Neubaugebieten biete sich an, ein Wärmenetz zwischen mehreren Häusern aufzubauen, sagt Clemens Galonska von der Umweltstation Würzburg. Wo zu viel Wärme vorhanden sei, könne diese über ein Nahversorgungsnetz zu anderen Gebäuden wie Altenheimen oder Schwimmbädern gelangen, so Galonska: „Dadurch können wir gerade in der Städteplanung eine hohe Energieeffizienz erreichen.“
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Trotz der Fördergelder für KWK-Anlagen zögern viele Haushalte noch mit der Anschaffung, verunsichert vor allem durch die Fülle an Regularien und Vorschriften. Hagen Fuhl appelliert an die Politik: „Wir brauchen Planbarkeit. Gesetze und Regularien müssen einen längeren Bestandscharakter haben und sie müssen transparenter, einfacher und verständlicher werden.“ „Die Qualität der KWK ist die Regelbarkeit und die müssen wir ausnutzen“, so Sabine Gores. Und Hagen Fuhl ist sicher: „Die Kraft-Wärme-Kopplung und damit auch die Brennstoffzelle sind die Zukunft der Energieversorgung.“
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Nachhaltige Baustoffe / SKZ

Die Baubranche verursacht massenweise CO2-Emissionen. Mit neuen Baustoffen könnte sie aber nachhaltiger werden.  

„Wenn wir Baustoffe in einer kritischen Menge produzieren und verwenden, ist es irgendwann nicht mehr nachhaltig. Dann ist es einfach zu viel“, sagt Hermann Achenbach, Leiter der Forschungsgruppe „Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft“ beim Kunststoffzentrum in Würzburg (SKZ). Und werde weiterhin so viel Beton eingesetzt wie bisher, führe das zu akutem Mangel an Ressourcen wie Sand und Kies.


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Der weltweite Bedarf an Sand und Kies für die Betonproduktion wird nach Erhebungen der TU Dresden auf 15 Milliarden Tonnen jährlich geschätzt. Das wirkt sich auch auf die Klimabilanz des Rohstoffs aus: Weltweit ist die Zementproduktion laut dem europäischen Zementverband Cembureau für etwa fünf Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Der Verein Deutscher Zementwerke beziffert die Emissionen allein in Deutschland im Jahr 2015 auf 0,56 Tonnen CO2 pro Tonne Zement.

Aber die Suche nach nachhaltigen Alternativen hat begonnen. Seit 2014 läuft das C³-Projekt über Carbonbeton an der TU Dresden mit rund 160 Partnern, darunter dem SKZ. Das SKZ forscht neben Carbonbeton an holzbasierten Kunststoffen und Rohren aus Industrieabfällen, die ebenfalls im Baubereich Anwendung finden.
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Carbon besteht aus Kohlenstofffasern auf Erdölbasis, die zu einem Garn versponnen und dann weiter zu Matten oder stabförmigen Bewehrungen verarbeitet werden. Die Bewehrungen, die Gitterstäben ähneln, verstärken Betonbauteile, um deren Tragfähigkeit zu erhöhen. 

„Stahlbeton hat sich sukzessive in den letzten 100 Jahren als der Massenbaustoff entwickelt“, sagt Dr. Matthias Lieboldt, C³-Projektmanager. Das Problem: Der Stahl, der im Beton als Bewehrung eingesetzt wird und dadurch den Baustoff verstärkt, korrodiert mit der Zeit - das Bauteil versagt.„Die Stahlbewehrung im Beton muss also vor Korrosion geschützt werden“, erklärt Lieboldt. Bis zu acht Zentimeter dick muss solche eine Mindestüberdeckung sein: Es wird für den Korrosionsschutz also viel Beton benötigt.
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Carbon korrodiert anders als Stahl dagegen nicht – und ist etwa viermal leichter als Betonstahl. Zugleich halten Carbonfasern einer sechsfachen Zugbelastung stand, sagt Lieboldt. So entstehe theoretisch eine 24-mal höhere Leistungsfähigkeit. Zudem benötige Carbonbeton weniger Ressourcen, die Konstruktionen würden dünner und filigraner. Carbonbeton eigne sich zur Instandsetzung von Gebäuden, finde aber auch im Neubau Anwendung, so Lieboldt. Aber noch liegen für Carbonbauten keine Normen vor, weshalb besondere behördliche Zustimmungen notwendig sind. 


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Für die Herstellung von Carbon wird bislang der fossile Rohstoff Erdöl genutzt. Doch die Materialforscher sehen Alternativen: der Holzbestandteil Lignin, der vor allem bei der Papierproduktion als Abfallstoff anfällt, oder Algenöle. Die Herstellung einer Tonne Carbonbewehrung verursache bislang 12,83 Tonnen CO2, wie die neueste Studie der TU Dresden zeigt. Das ist acht bis 15-mal mehr als bei Betonstahl. Dennoch: „Der massenbezogene CO2- Emmissionsfaktor der Carbonbewehrung ist im Vergleich zu einer Stahlbewehrung zwar höher, aber durch die wesentlich geringere Dichte und die höhere Tragfähigkeit von Carbon wird wesentlich weniger Masse an Bewehrung benötigt“, erklärt Lieboldt. Und weil der Stoff nicht korrosionsanfällig ist, sie die Lebensdauer auch länger.
Laut Lieboldt wird CO2 also hauptsächlich dadurch reduziert, dass weniger Beton benötigt wird. Im Vergleich zu Stahlbeton könnten bis zu 80 Prozent an Beton eingespart werden. Die Nutzungsdauer von Carbonbetonbauten wird auf 200 Jahre geschätzt. Ein Nachteil: Carbon ist etwa 15-fach teurer als Stahl. Dafür lässt sich Carbonbeton besser recyceln.
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Hermann Achenbach vom SKZ setzt auf Holz als Alternative im Baubereich. Dabei würden keine riesigen Mengen an Steinen und Beton benötigt – positiv für die Ökobilanz. Sein Team forscht an sogenannten Wood-Plastic-Composites-Kunststoffen, kurz WPC, bei denen Holz mit Kunststoff kombiniert wird: „WPC hat im Vergleich zu typischem Vollkunststoff eine geringere thermische Ausdehnung und nimmt mehr Wasser auf", so Achenbach. "Mit bis zu 80 Prozent Holzanteilen ist der Vorteil, dass nachwachsende Rohstoffe verwendet werden.“


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WPC-Produkte kommen im Baubereich bislang zum Beispiel als Terrassendielen sowie im Spielzeugbereich zum Einsatz. Das SKZ hat Terrassendielen aus WPC und aus Holz miteinander verglichen: „Wenn man einheimisches Holz nimmt, dessen Nutzungsdauer geringer ist als von WPC, ist die Ökobilanz besser. Trotz des vielen Holzes im WPC Kunststoff hat man immer noch eine schlechtere Ökobilanz durch den Kunststoff, der nötig ist“, so Achenbach.

In Langzeitversuchen untersucht die Forschergruppe am SKZ die mögliche Nutzungsdauer. WPC-Produkte sind wiederverwertbar, haben jedoch durch lange Nutzungsdauern hohe Rücklaufzeiten. Heimisches Holz sei mit Blick auf die Ökobilanz deshalb derzeit die positivere Variante, resümiert Achenbach.
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Das SKZ entwickelt zudem Rohre aus Industrieabfällen: Dabei werden Abfälle von Unternehmen aus der Rohrbranche zurückgeführt, Fremdmaterial ist nicht zugelassen. Noch fehlt es an Normen für den Einsatz anderer Abfallprodukte - denkbar aber ist er, sagt der SKZ-Forschungsgruppenleiter. Die Eigenschaften der Rohre müssten denen von Neuware entsprechen. Das SKZ ist auf den Einsatz von Recyclingprodukten, sogenannten Rezyklaten, im Abwasserbereich spezialisiert. Abwasserrohre bestehen aus drei Schichten. Die Mittlere kann laut Achenbach durch Rezyklate ersetzt werden. Ziel ist es, Recyclingprodukte stärker in die Kreislaufwirtschaft einzubinden. Aktuell wird laut Achenbach an einer Anwendung geforscht, mit der Abfälle gescannt werden: Dem Anwender wird so aufgezeigt, wie er diese weiterverarbeiten kann.
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Diverse Projekte am SKZ versuchen, Recyclingprodukte stärker in die Kreislaufwirtschaft einzubinden. Aktuell wird laut Achenbach an einer Anwendung geforscht, mit der Abfälle gescannt werden. Anschließend wird dem Anwender aufgezeigt, wie er diese weiterverarbeiten kann. Die vorgestellten Baustoffe bieten Möglichkeiten, die Baubranche nachhaltiger zu gestalten. Jedoch ist es wichtig, dass sie wieder in den Kreislauf zurückgeführt und nicht in extrem hohen Mengen produziert werden.
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Klimawandel und zunehmende Nutzung verknappen das Trinkwasser. Neue Methoden sollen dem drohenden Wassermangel vorbeugen.  

In Mitteleuropa braucht der Mensch täglich gut zweieinhalb Liter Wasser, in heißen Wüstengegenden oder in Regionen der trockenen Arktis sogar zwischen acht und 15 Liter. Ohne Wasser ist also kein Leben möglich. Vor etwa 3,5 bis vier Milliarden Jahren entwickelte sich auf der Erde aufgrund von Wasser Leben. Um genügend Nahrung zu bekommen, sind wir auf ein ausreichendes Angebot an Trinkwasser angewiesen. Doch obwohl die Erdoberfläche zu 70 Prozent mit Wasser bedeckt ist, beginnt für den Menschen das notwendige Gebrauchswasser, nämlich Süßwasser, knapp zu werden.
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Die wachsende Weltbevölkerung sowie Urbanisierung und Industrialisierung haben den Wassermangel in vielen Ländern zusätzlich verschärft. Über zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Gleichzeitig steigt der Wasserverbrauch jedes Jahr um ein Prozent und ist heute sechs Mal so groß wie vor 100 Jahren. Auch der Klimawandel habe Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Wasserressourcen, wie Jörg E. Drewes, Professor am Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft an der TU München, erklärt: „Selbst im Freistaat Bayern, der eigentlich wasserreich ist, sehen wir Grundwasserspiegel, die fallen – und zwar flächendeckend“.
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Wasserproben werden bei DyeNA Genetics untersucht.
Wasserproben werden bei DyeNA Genetics untersucht.
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Eine wesentliche Herausforderung in naher Zukunft ist daher die Bereitstellung von Technologien, mit denen sich die Menge des brauchbaren Wassers erhöhen lässt – entweder durch die vermehrte Gewinnung von sauberem Trinkwasser aus dem Meer oder durch die Aufbereitung von benutztem oder verunreinigtem Wasser.

Thomas Benkert, Biochemiker im Bereich molekulare Genetik, entwickelt mit seinem in Schweinfurt ansässigen Unternehmen DyeNA Genetics Testsysteme, die speziell in der mikrobiologischen Abwasseranalytik eingesetzt werden. Mithilfe der quantitativen Real-Time PCR (kurz: qPCR), einer Vervielfältigungsmethode für Nukleinsäuren, können dabei lebende und tote Bakterien in Abwasserproben präzise bestimmt werden.

Quelle Bilder: Oliver Mauder
Wasserproben werden bei DyeNA Genetics untersucht.
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Durch den Klimawandel und die verringerte Niederschlagsmenge wird die Ressource Wasser laut Benkert in Zukunft sehr viel wichtiger werden: „Deswegen ist für uns das Thema Nachhaltigkeit ziemlich wichtig. Durch unsere Analysetestsysteme können wir Kläranlagenbetreibern Hilfsmittel und Möglichkeiten an die Hand geben, die Mikrobiologie in ihrer Anlage besser zu beurteilen. Dies führt dazu, dass bestmöglich geklärtes Abwasser in die Gewässer eingeleitet wird“.
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Die Real-Time PCR wird dabei eingesetzt, um schnell zuverlässige, präzise Ergebnisse zu erzielen. Das ist auch der Fall in der aktuellen Corona-Pandemie, in der das neue Coronavirus (SARS CoV-2) beim Menschen mit dieser Methode nachgewiesen wird. In den Niederlanden konnten Forscher das Virus im Abwasser einer Gemeinde nachweisen, noch bevor erste klinische Symptome und Infektionsfälle gemeldet wurden.

Da der Nachweis des Virus somit als eine Art Frühwarnsystem genutzt werden kann, hat DyeNA Genetics ein SARS CoV-2-PCR- Testsystem speziell für die Abwasseranalytik entwickelt. Die Messung der Viruslast im Abwasser kann auch dazu beitragen, die Dunkelziffer der mit dem Virus erkrankten Personen besser bewerten zu können. „Das ist sozusagen ein doppeltes System, was ziemlich vorteilhaft ist“, so Benkert.
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Neben der Unsicherheit über die Verfügbarkeit von Wasserressourcen nimmt die Zahl an Schadstoffen, die ins Abwasser gelangen, kontinuierlich zu. Lange Zeit konnte man es sich leisten, Abwässer im Boden versickern zu lassen oder in den nächstgelegenen Fluss oder See einzuleiten. Mit fortschreitender Industrialisierung und wachsender Bevölkerungsdichte führte dieses Verhalten jedoch zu einer stetig steigenden Belastung der Oberflächengewässer.  

Im Wesentlichen hängt es von den Privathaushalten, Krankenhäusern, der Industrie und nicht zuletzt von der Landwirtschaft ab, wie mit Trink- und Brauchwasser umgegangen wird und wie es nach der Benutzung verunreinigt wird. „Es gibt viele pharmazeutische Reststoffe, Antibiotikaresistenzen oder Mikroplastik, von denen wir noch nicht wissen, was es eigentlich bedeutet, wenn sie in der Umwelt sind“, so Professor Drewes von der TU München.
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Doch wie sehen Lösungen für Wasserkreisläufe in der Zukunft aus? Aufgrund der im Abwasser gebundenen chemischen Energie können organische Stoffe beispielsweise in Biogas umgewandelt und verstromt werden. „Tatsächlich gibt es heute schon Anlagen, die 100 Prozent ihres Eigenbedarfs aus dem Biogas, das aus dem Abwasser gewonnen wird, decken“, so Drewes. Da die Aufbereitung von Wasser und Abwasser sehr viel Energie benötigt, lassen sich somit Potenziale der Energierückgewinnung nutzen.

Grundsätzlich sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Randbedingungen wie der Klimawandel, die zunehmende Urbanisierung und Industrialisierung das derzeitige Abwassersystem vor erhebliche Herausforderungen stellen. Es müssen Alternativen und Lösungen bereitgestellt werden, indem Wasserkreisläufe partiell geschlossen oder Programme zur Wasserrückführung und Wasserrecycling eingeführt werden. Ein erster Schritt dahingehend ist sich des Problems bewusst zu werden und Maßnahmen sowohl in der Industrie als auch bei jedem einzelnen einzuleiten.
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Recyclefähige Verpackungen

Aufgrund gesetzlicher Vorgaben stehen Unternehmen vor der Herausforderung, Verpackungen recyclingfähig zu gestalten. Um dies zu erfüllen, müssen sie geprüft und optimiert werden. Unterstützung leisten findige Hersteller sowie Forschungs- und Zertifizierungsinstitute.

Umweltverschmutzung und überflüssiger Müll – Verpackungen haben ein schlechtes Image. Unverpackt-Läden gewinnen deshalb an Beliebtheit. Joachim Christiani ist Geschäftsführer des Aachener Instituts für Recycling und Produktverantwortung cyclos-HTP. Laut ihm entspreche Abfallvermeidung nicht unserer Gesellschaftsstruktur. „Der Fokus muss auf der Optimierung von Verpackungen liegen, um deren Recyclingfähigkeit zu steigern“, sagt Christiani.
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Kaum ein Produkt kommt ohne Verpackung in den Handel. Sie schützt bei Lagerung, Transport und Verkauf. Zudem liefert sie Informationen zum Produkt, zu dessen Gebrauch oder Inhaltsstoffen. Laut Umweltbundesamt stieg die Menge der Verpackungsabfälle bereits 2017 auf den seither höchsten Stand von 18,7 Millionen Tonnen. Die Zahl der genutzten Kunststoffverpackungen hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Gründe dafür sind unter anderem mehr Singlehaushalte und der vermehrte Gebrauch von Fertigprodukten.
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Um Verpackungen nachhaltiger zu gestalten und Stoffkreisläufe zu schließen, gilt seit 2019 in Deutschland das Verpackungsgesetz (VerpackG). Wenn sich Hersteller, Händler und Importeure bei der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister registrieren und sich dualen Systemen anschließen, sind Rücknahme und Verwertung von Verpackungen garantiert. Duale Systeme wie beispielsweise der Grüne Punkt organisieren die Sammlung, Sortierung und Verwertung von Verpackungen.

Außerdem schreibt das Gesetz höhere Recyclingquoten für Verpackungen vor, die in Deutschland auf den Markt gebracht werden. Ab 2022 sollen 90 Prozent der Verpackungen aus Glas, Aluminium, Eisenmetallen sowie Papier, Pappe und Karton recycelt werden. Bei Kunststoffverpackungen liegt die vorgeschriebene Recyclingquote dann bei 63 Prozent.
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„Primär wirkt das Verpackungsgesetz auf die dualen Systeme, die nun die Verpflichtung haben, für Hersteller und Inverkehrbringer Verpackungen ordnungsgemäß zu entsorgen“, sagt Verpackungsingenieur Christiani. Seit Inkrafttreten sind jedoch nicht nur dort Veränderungen zu beobachten. Die Hersteller standen durch das Gesetz vor großen Herausforderungen. „Die Umstellungsprozesse sind sehr komplex. Teilweise bedingt die Strukturänderung technische Änderungen in ganzen Abfüllketten.“ Zudem waren auch das EU-Kreislaufwirtschaftspaket sowie ein allgemeiner, medialer Trend von nachhaltigen Verpackungen Gründe, die Unternehmen zum Umdenken bewegt haben.
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Das Aachener Institut für Recycling und Produktverantwortung cyclos-HTP unterstützt Hersteller bei der Beurteilung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen. Als Grundlage hat das Institut einen Anforderungs- und Bewertungskatalog erstellt. Wie Christiani erklärt, simuliert cyclos-HTP den realen Recyclingprozess und kann so bilanzieren, wie recyclingfähig eine Verpackung ist. Damit wird einerseits der Status der „Kreislauffähigkeit“ bestimmt. Andererseits liefert die Simulation auch Informationen, wie Verpackungen konkret verbessert werden können.
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Dass sich einige Verpackungen schwer recyceln lassen, liegt an verschiedenen Faktoren. Das Problem ist häufig die Materialzusammensetzung. Werden Multi-Layer-Strukturen verwendet, das heißt mehrere Materialien in mehreren Schichten untrennbar kombiniert, ordnet die Sortieranlage die Verpackung meist nur einem Material zu.

Ein weiteres Problem liegt in den Etiketten. Sind sie zu groß, wird die ganze Verpackung nach dem Material des Etiketts sortiert. Eine PET-Flasche mit großem PVC-Etikett etwa würde nicht als PET-Flasche erkannt, sondern als PVC aussortiert werden. Die recyclebare Verpackung geht verloren. Auch die Farbe von Verpackungen kann Recycling verhindern. Gerade bei schwarzen Hüllen mit traditioneller Ruß-Pigmentierung ist das problematisch, da sie bei der Sortierung nicht reflektieren. Das Nah-Infrarot-Gerät, das Verpackungsmaterialien erkennt, empfängt kein Signal und wertvolle Materialien gehen verloren.
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Wie Verpackungen konkret verbessert werden können, zeigt die Software EasyD4R, die der Konsumgüterhersteller Henkel 2019 entwickelt hat. Hiermit können Verpackungen schon während des Designprozesses hinsichtlich ihrer Recyclingfähigkeit beurteilt werden. „Wir hinterfragen bestehende Verpackungen und überprüfen schon früh im Innovationsprozess, ob neue Verpackungen nachhaltig und recyclingfähig gestaltet sind“, so Colin Zenger, der bei Henkel an nachhaltigen Verpackungen für Wasch- und Reinigungsmittel arbeitet.
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Um Verpackungen auf ihre Recyclingfähigkeit zu überprüfen, fragt EasyD4R Informationen zu den einzelnen Materialzusammensetzungen einer Verpackung ab. Dabei spielen Komponenten wie Verschluss, Flasche, Etikett, Klebstoff und Farbe eine Rolle. Konkret war EasyD4R zum Beispiel Initialzündung für die Färbung einer Waschmittel-Flasche mit dem Alternativ-Farbstoff carbon-free black. Trotz der dunklen Pigmentierung ist sie damit recyclingfähig.

Ein weiteres Beispiel sind Flaschen mit trennbaren Full-Sleeve-Etiketten, die Verpackungen wie eine zweite Haut umschließen und ohne Klebstoff halten. Durch eine Perforation können Kunden diese Hülle abziehen, sodass die Verpackung ohne störende Elemente recycelt werden kann. Zenger erläutert, warum Henkel die Software öffentlich zu Verfügung stellt: „Henkel möchte mit dem Programm die Kreislaufwirtschaft voranbringen – nicht nur auf Unternehmensebene, sondern auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette.“
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Im internationalen Vergleich befindet sich die Wertschöpfung in Deutschland auf einem hohen Niveau. Die Diskussion über recyclingfähige Verpackungen ist selten eine Diskussion über Glas, Metall oder Pappe. Im Fokus steht der Kunststoff und wie man ihn vermeiden kann. Grund dafür ist laut Christiani, dass die Kreislaufführung bei Kunststoff nicht so ausgeprägt sei, dass er in der Öffentlichkeit als Wertstoff wahrgenommen werde. „Wir müssen recyclinggerecht designen, eine Infrastruktur gegen ungeregelte Entsorgung schaffen und“, so fordert der Wissenschaftler, „Kreisläufe etablieren.“
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Plastik-Alternativen

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Bioplastik – seine Stärken, seine Schwächen

Ein Delfin, sein Maul voll mit Müll, eine Sprechblase: „Wir haben die Schnauze voll!“  Das Bild auf einem Plakat des World Wide Fund for Nature (WWF) spielt auf den immensen weltweiten Plastikverbrauch und seine Folgen für die Umwelt an. Ein Lösungsansatz: Bioplastik.

Drei Viertel des Mülls, welcher in den Weltmeeren schwimmt, bestehen laut WWF aus Plastik. Und jedes Jahr kommen zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen dazu. Das entspricht ungefähr 75 voll beladenen Containerschiffen. Dass Kunststoff sich so langsam zersetzt und nicht verrottet, macht die Situation noch schlimmer. Und: Plastik zerfällt in Mikroplastik und landet über die Nahrungskette im menschlichen Körper.
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Einfach komplett auf Plastik zu verzichten ist momentan noch keine Lösung. In der Medizin hilft es, hygienische Standards einzuhalten und auch als Verpackung für verderbliche Lebensmittel ist es wichtig. Aber möglicherweise kann schon bald immer mehr herkömmliches Plastik durch ‚Bioplastik‘ ersetzt werden. Einen Markt dafür gibt es bereits.
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Beim Begriff Biokunststoff gilt es zu unterscheiden: So gibt es die biobasierten Kunststoffe und die biologisch abbaubaren. Das biobasierte Plastik besteht aus nachwachsenden Rohstoffen, ist also nicht erdölbasiert. Das biologisch abbaubare Plastik kann erdölstämmig sein, ist aber dennoch biologisch abbaubar. Polyactid (PLA), auch als Polymilchsäure bekannt, ist beides: biobasiert und biologisch abbaubar. Das klingt perfekt: Ein Plastik, das auf erneuerbare Ressourcen zurückgreift und sich biologisch abbauen lässt.

Doch ganz so einfach ist das nicht. Drei Aspekte sind kritisch: Weil zur Herstellung meist stärkehaltige Pflanzen, wie Mais oder Zuckerrohr, benötigt werden, konkurriert es mit der Nahrungs- und Futtermittelindustrie. Außerdem lässt es sich nicht so leicht abbauen wie von der Industrie dargestellt wird und seine Herstellung ist, im Vergleich zum herkömmlichen Plastik, zu teuer, um wettbewerbsfähig zu sein.

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Dr. Albrecht Läufer hat dennoch eine Alternative gefunden, die diese Hürden überwindet. Der Geschäftsführer der Kölner Firma BluCon Biotech entwickelte mit seinem Team ein Verfahren für die kostengünstige Herstellung von Milchsäure, die der späteren Produktion von PLA dienen soll. Hierfür sind keine Primärrohstoffe nötig, sondern ausschließlich Reststoffe land- und forstwirtschaftlicher Betriebe. Das Argument der Konkurrenz zum Futter- und Nahrungsmittelmarkt scheint damit entkräftet. Zudem sei sogenannter Reststoff-PLA preiswert. Läufer erklärt den Zusammenhang:
“PLA ist ein Plastik, das nur aus dem Grund nicht weiter in den Markt gekommen ist, weil der Rohstoff Milchsäure noch zu teuer ist, um ein Plastik daraus herzustellen, das mit aus Erdöl gewonnenem Plastik preislich mithalten kann.”
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Ein weiterer Vorteil des Reststoff-PLAs liegt darin, dass er sich schon nach drei bis sechs Wochen zersetzt. „Nur in Industriekompostanlagen, zuhause beim Normalverbraucher dauert es länger“, räumt Läufer allerdings ein. Seiner Ansicht nach gehe die Debatte rund um die schnelle Abbaubarkeit am eigentlichen Thema vorbei: „Was ich absolut sicher sagen kann, ist, dass dieses Zeug nicht 100 Jahre und nicht 500 Jahre in unserer Umwelt sein wird. Das ist immer abbaubar.“

Eine Verpackung, auf der “biologisch abbaubar” oder “biobasiert” steht, wecke beim Verbraucher allerdings das Gefühl, dass es nicht ganz so verwerflich sei, dieses Produkt zu kaufen und später wegzuwerfen – so der Einwand einiger Bioplastik-Kritiker. Das fördere wiederum einen verschwenderischen Umgang mit derartigen Verpackungen. Läufer entgegnet: “Wenn man dieses Plastik wegwirft, weiß ich, es entsteht kein jahrtausenderlanger Schaden."
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Elena Schägg, Sprecherin vom Arbeitskreis ‚Abfall- und Ressourcenpolitik‘ des BUND Berlin, hingegen, steht Bioplastik kritisch gegenüber. Im Kreislaufwirtschaftsgesetz gebe es eine Abfallhierarchie. „Damit hat man eine klare Rangfolge, an der man sich orientieren soll, und die Abfallvermeidung soll dabei das oberste Prinzip sein“, erklärt Schägg. Generell kritisiert der BUND an Bioplastik: Der Ersatz von Bioplastik zu konventionellem Plastik mache die Abfallberge nicht kleiner, die Entsorgung sei unklar und die Abbaubarkeit nicht gegeben. Dabei bezieht sich die Sprecherin des Arbeitskreises zusätzlich auf das Umweltbundesamt, dass nach der Analyse einiger Ökobilanzen zu den Umweltauswirkungen von Biokunststoffen im Vergleich zu konventionellen Kunststoffen “keine wirkliche ökologische Vorteilhaftigkeit” nachweisen konnte. 

Auch die Entsorgungsfrage sei noch nicht geklärt, erklärt Schägg. Würde PLA nämlich nicht fachgerecht entsorgt, könne das dazu führen, dass es aussortiert und verbrannt wird. PLA im Biomüll sei aber auch nicht sinnvoll, weil die Kompostanlagen nicht die notwendigen Temperaturen für die Zersetzung des PLA aufbringen. Sie sieht die Lösung des Abfallproblems vielmehr in der Nutzung und Förderung von Mehrwegsystemen. Falls dies nicht möglich sei, solle der eingesetzte Kunststoff zumindest recyclingfähig sein und eine korrekte Entsorgung sichergestellt werden.
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Auch die Politik könne ihren Teil hierzu beitragen. Schägg kritisiert die Zurückhaltung hinsichtlich der Abfallvermeidung und schlägt vor: „Es könnten zum Beispiel verbindliche Abfallvermeidungsziele gesetzt werden oder Wiederverwendungsquoten.“ Bislang gebe es schon eine 70-prozentige Mehrwegquote im Verpackungsgesetz für Getränkeverpackungen. Jedoch blieben Sanktionen für Marktakteure, die diese nicht einhalten, noch aus. Sie fordert hier eine Nachbesserung. Als ideales Konzept für eine nachhaltige und ressourcenschonende Gesellschaft wäre ihr vor allem wichtig, dass es Verbraucher*innen durch Politik und Wirtschaft “möglichst einfach gemacht wird, nachhaltige Entscheidungen zu treffen.“
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Prof. Dr. Ralf Pude ist Leiter des Forschungsbereichs ‚Nachwachsende Rohstoffe‘ an der Universität Bonn.
Er beschäftigt sich im Rahmen des Forschungsprojektes EFRE-FIS mit diversen nachhaltigen Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen, zum Beispiel mit Graspapier zum Verpacken von Äpfeln. Äpfel in der Graspapier-Verpackung werden schon heute bei der Supermarktkette Rewe verkauft – komplett ohne herkömmliches Plastik. Und die Nachfrage nach nachhaltigen Verpackungen nimmt, laut Pude, ständig zu. Dies bedeutet sowohl Fortschritt als auch Herausforderung. Sensible Produkte, wie Fleisch, könnten nicht in nachhaltigen Verpackungen aufbewahrt werden, da diese nicht die nötige Dichte aufbringen, erklärt Pude.

In Zukunft will er mit seiner Forschung aber auch diese Lücke schließen und einen Verpackungsstoff entwickeln, der zum Beispiel antimikrobiell beschichtet sein könnte. Um die bislang recht hohen Kosten der Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen macht sich der Forscher keine Sorgen, denn das würde in Zukunft “großtechnischer gemacht”. Und damit sinke wiederum auch der Preis. Prof. Pude ist zuversichtlich: “Das ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, dass das konkurrenzfähig wird.”
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Es stellt sich die Frage, ob der Ersatz von konventionellem Plastik zu Bioplastik der richtige Weg ist, oder ob nicht ein grundsätzliches Umdenken in der Gesellschaft einen viel größeren Effekt für die Umwelt hätte. Würde von heute an überwiegend auf Verpackungen verzichtet werden, könnte die Schnauze des Delfins sich vielleicht eines Tages leeren.
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Upcycling: Einweggeschirr aus Naturfasern

Ab Januar 2021 ist es soweit: Das Europäische Parlament verbietet Einwegbesteck aus Kunststoff, Einweg-Plastikteller, Strohhalme und weitere Produkte aus Kunststoff.
Das Ziel: Plastikrückstände und die Kosten, die durch Umweltverschmutzung entstehen, zu reduzieren.

Rund 350.000 Tonnen Abfall für Einweggeschirr und To-Go-Verpackungen fielen 2017 laut der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung an. Rund ein Drittel davon bestehen aus Kunststoff.


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Frau Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern erläutert, dass bei der Produktion von Bio-Kunststoffen derzeit eine hohe Belastung für Luft und Wasser entsteht und der Energieverbrauch meist doppelt so hoch ist, als der bei der herkömmlichen Plastikproduktion.

Demnach stehen auch Plastikalternativen  bereits in der Kritik. Vermeintliche Bio-Kunststoffe aus Zuckerrohr können zum Teil nicht kompostiert werden und Einwegprodukte aus Pappe oder Papier sind nur dann empfehlenswert, wenn sie aus recyceltem Material hergestellt wurden. Dass Bio-Plastik häufig nur als solches vermarktet wird, weiß auch Julia Piechotta, Gründerin von Spoontainable:
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Laut des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirt-schaft landen allein in Deutschland rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle – etwa das vierzigfache Gewicht des Kölner Doms – jährlich im Müll. Ein Drittel davon fallen bei der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln an. Müll, den wir an anderen Stellen gut weiterverarbeiten könnten.

Recycling, Downcycling und Upcycling: Verfahrensweisen, deren Ziel es ist, einen dauerhaften Kreislauf zu bilden, welcher die Umwelt schont. Upcycling ist neben dem bekannten Recycling eine Form der Wiederverwertung, die eine Aufwertung von Stoffen mit sich bringt.
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Laut des europäischen Parlaments würden durch Abfallvermeidung, Wiederverwendung und ähnliche Maßnahmen pro Jahr Nettoeinsparungen von mehr als eine halbe Billionen Euro in der EU erzielen und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen signifikant reduziert werden. Zudem würde weniger Druck auf der Umwelt lasten, die Rohstoff-versorgungssicherheit erhöht werden, die Wettbewerbs-fähigkeit würde sich steigern und viele neue Arbeitsplätze durch Innovation und Wachstum geschaffen werden. 30.000 bis 40.000 Tonnen Kakaoschalen fallen beispielsweise allein in Deutschland jährlich an Abfall bei der Kakaoproduktion an.
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Das in 2018 gegründete Start-Up Spoontainable hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit diesem Reststoff nachhaltige Eislöffel herzustellen. Für diese Idee gewannen die drei Gründerinnen im Juni 2019 sogar den Food Innovation Award und zeigen damit uns allen: Müll kann viel wertvoller sein, als wir es uns vorstellen können. Julia Piechotta erzählt, wie es dazu kam:
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Trotz des ab 2021 in Kraft tretenden Verbots von Plastikge-schirr und Einwegbesteck gibt es noch keine genauen Handlungsempfehlungen für Hersteller. Die Nachfrage nach Einwegprodukten aus biobasierten Kunststoffen und Naturfasern in seinem Unternehmen hat sich laut des Geschäftsführers Robert Czichos von Bionatic, einem Großhändler von Einwegprodukten aus nachwachsenden
und recycelbaren Rohstoffen, positiv entwickelt. Ausschlaggebend hierfür sieht er in der Entwicklung der Food-Service-Industrie, dem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit und dem Befinden in einem Nischenmarkt.
Das Verbot von Einweggeschirr sieht er allerdings kritisch.

Foto: Greenbox




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Bioplastik FHWS

Bioabbaubare Verpackungen könnten künftig die Umwelt schonen. Sabine Amberg-Schwab vom Würzburger Fraunhofer Institut ist Vorreiterin - mit Folienschichten aus Früchteresten.

Das neue deutsche Verpackungsgesetz sieht vor, dass alle, die gefüllte Verpackungen in Umlauf bringen, für deren Rücknahme und Verwertung verantwortlich sind. Das stellt viele Hersteller vor Herausforderungen, denn zu viel des Plastikmülls kann nicht recycelt werden und sie müssen für die entstehende Umweltverschmutzung bürgen. Eine mögliche Lösung erforscht das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC) in Würzburg: Verpackungen aus kompostierbaren Kunststoffen sollen den Markt verändern.


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„Wir haben nur einen Planeten Erde, aber bis 2050 wird unser Verbrauch ein Niveau erreichen, als hätten wir drei davon“, stellte im März der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius fest. Er präsentierte der Kommission den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft der EU mit dem Ziel, konkrete Maßnahmen für die Vermeidung von Abfall umzusetzen. Nach diesem Plan sollen ab 2030 alle Kunststoffverpackungen auf dem europäischen Markt recyclingfähig sein.

Plastik verschmutzt die Umwelt mit langfristigen Folgen für Mensch und Natur – dieses Problem ist inzwischen weit bekannt. Jedes Jahr gelangen 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastik in die Meere. Laut der Umweltschutzorganisation WWF steuert gerade Verpackungsmaterial für Lebensmittel einen großen Teil dazu bei. Diese ausgedienten Verpackungen gelangen hauptsächlich vom Land aus über Flüsse in die Meere.
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„Ein Szenario, das uns zum Nachdenken gebracht hat“, sagt Dr. Sabine Amberg-Schwab. Sie ist die Leiterin des Fachbereichs Barriereschichten und chemische Beschichtungstechnologie am Würzburger Fraunhofer-Institut. Dort entwickelt sie seit mehr als 30 Jahren Verbundfolien, die für Verpackungsmaterial eingesetzt werden können.

„Das Problem ist, dass solche zusammengesetzten konventionellen Folien nicht recycelt werden können“, sagt die Materialforscherin. Seit acht Jahren arbeitet sie an einer – inzwischen preisgekrönten – Funktionsschicht aus biologischen Materialien, die bioabbaubar und kompostierbar ist. Diese Schicht kann dann als Barrierelack auf Biokunststoffe und konventionelle Kunststoffe aufgetragen werden. Selbst konventionelle Verpackungsfolien werden dadurch einfacher recycelbar, sagt Amberg-Schwab.

Foto: Fraunhofer ISC


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„Wir verwerten biologische Reste weiter und stellen dann aus diesen hochwertiges Ausgangsmaterial für unsere Barrierelacke her“, beschreibt die Forscherin den Herstellungsprozess der Funktionsschicht aus Früchteresten oder dem Krebsschalen-Präparat Chitosan. Um für Lebensmittelverpackungen einsetzbar zu sein, muss der Beschichtungslack eine gute Barriere sein: Wasserdampf, Sauerstoff, Aromen und Weichmacher sollen diese Schichten möglichst nicht durchdringen.

Durch die hochfunktionellen Beschichtungsmaterialien könnten in Zukunft herkömmliche Verbundmaterialien ersetzt werden, ist Amberg-Schwab überzeugt. „Wir können uns als Gesellschaft die konventionellen Verpackungs- und Verbundmaterialien nicht mehr leisten.“ Gerade deshalb setze sich das Institut dafür ein, nachhaltiger und unabhängiger von erdölbasierten Ressourcen zu werden, um die Umwelt weniger zu belasten.
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Einer Umfrage der Deutschen Umwelthilfe von 2018 zufolge können jedoch in 95 Prozent der befragten Kompostanlagen die biologisch abbaubaren Kunststoffe nicht nach der betreffenden europäischen Norm kompostiert werden.
Denn während sich die Zertifizierung als "biologisch abbaubar" auf labortechnische Bedingungen bezieht, seien die Kompostierungsverhältnisse in der Realität häufig nicht gesichert. Demnach stellen biologisch abbaubare Kunststoffe eher Störstoffe dar, die nicht normgerecht abgebaut werden können. Solange es keine einheitliche Recycling-Infrastruktur gebe, müssten die Biokunststoffe auch im Restmüll entsorgt werden, so der Umwelt- und Verbraucherschutzverband.


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Volker Herrmann, Professor für Kunststofftechnik an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, hält "das Kompostieren nicht für den Heilsbringer“, weil es an der Umsetzung noch hapere. Für Herrmann gilt: „Der Werkstoffkreislauf geht vor der Kompostierbarkeit“. Da habe das Recycling das größere Potenzial, die Umwelt in Zukunft vor zu viel Plastikmüll zu schützen. Und die Industrie werde in nächster Zeit nicht auf nachwachsende Rohstoffe für Verpackungen umschwenken, so der Kunststofftechnik-Professor. Seine Befürchtung: „Man wird weiterhin Erdöl benutzen, solange es der Menschheit für die Kunststoffproduktion nicht ausgeht."
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Auch Sabine Amberg-Schwab ist sich der Tatsache bewusst, dass es noch ein langer Weg ist, die Umwelt nachhaltig vor Plastik schützen zu können. „Wenn man sich mit der Materie etwas auseinandersetzt, sieht man erst einmal, wie komplex das alles tatsächlich ist“, sagt die Forscherin vom Fraunhofer-Institut. Trotzdem sei die Entwicklung der neuen Monomaterialklasse ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, da diese leichter zu kompostieren sei.

Die Wissenschaftlerin appelliert zudem an die Verbraucher, sich möglichst zuverlässig zu informieren mit Blick auf die gebrauchten Verpackungen. Das sieht auch der Aktionsplan der EU vor: Nur, wenn alle Verbraucher bewusster mit Verpackungen umgehen, kann in Zukunft das korrekte Kompostieren von abbaubaren Kunststoffen zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft führen.
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BIOKRAFTSTOFFE

Fast die Hälfte des weltweiten Erdölverbrauchs geht auf den Verkehrssektor zurück. Die Treibhausgasemissionen in diesem Bereich steigen trotz verbesserter Antriebstechnologien weiterhin kontinuierlich an. Eine mögliche Lösung: Biokraftstoffe der zweiten Generation.

Fossile Ressourcen werden immer knapper. Laut dem Energiereport des Mineralölunternehmens BP betrug der weltweite Erdölverbrauch im Jahr 2019 knapp 14 Millionen Tonnen Erdöl am Tag. Rund 40 Prozent davon werden zur Kraftstoffherstellung genutzt und fließen damit in den Individual-, Güter- oder Flugverkehr.
Gleichzeitig verursacht der Verkehrssektor ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen, die nach Auswertungen der Wissenschaftsorganisation Global Carbon Project kontinuierlich ansteigen. Die Entwicklung und der flächendeckende Einsatz umweltfreundlicher Kraftstoffalternativen für den Personen- und Güterverkehr ist deshalb trotz verbesserter Antriebstechnologien unabdingbar, um die Treibhausgasemissionen langfristig zu reduzieren und die im Pariser Klimaabkommen festgesetzten Klimaziele zu erreichen.  
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Ein Lösungsansatz: fortschrittliche Biokraftstoffe, auch als Biokraftstoffe der zweiten Generation bekannt. Bis 2030 soll der Anteil von fortschrittlichen Biokraftstoffen im Verkehrssektor europaweit auf mindestens 3,5 Prozent steigen. Das sehen die Vorgaben der Erneuerbaren Energien Richtlinie RED II vor, die Ende 2018 von der EU verabschiedet wurde. Während Biokraftstoffe der ersten Generation aus der Stärke von Getreide und Maiskörnern sowie Zucker aus Zuckerrohr oder Zuckerrübe produziert werden, nutzen Verfahren der zweiten Generation zum Beispiel landwirtschaftliche Pflanzenreste und wandeln diese in fortschrittliche Biokraftstoffe um. Damit steht die Biokraftstoffproduktion nicht mehr mit dem Nahrungs- und Futtermittelanbau in Konkurrenz und benötigt auch keine zusätzlichen Anbauflächen.  


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Clariant, ein führendes Unternehmen für Spezialchemie, hat für die Herstellung solcher fortschrittliche Biokraftstoffe, in diesem Fall Zellulose-Ethanol, das sogenannte sunliquid® Verfahren entwickelt. „Wir machen Agrarabfälle nutzbar, die sonst auf dem Feld verbleiben oder verbrannt werden würden“, erklärt Ralf Hortsch, Head of Licensing & Services der Business Line Biofuels & Derivatives bei Clariant. Das Verfahren funktioniere dabei energieautark, benötigt also keinerlei fossile Energiequellen.

Als Energielieferant dient stattdessen ein Nebenprodukt des Verfahrens, das Lignin, der holzige Bestandteil, der in vielen Agrarresten enthalten ist. Es kann nicht zu Bioethanol verarbeitet werden und wird deshalb energetisch genutzt. Die sogenannte Vinasse, eine nährstoffreiche Flüssigkeit, die ebenfalls als Nebenprodukt des Verfahrens entsteht, kann zudem als Biodünger zurück aufs Feld gebracht werden. Ein Paradebeispiel für eine Kreislaufwirtschaftslösung durch die umfassende Nutzung erneuerbarer Ressourcen, erklärt Hortsch. Im Vergleich zur Herstellung fossiler Kraftstoffe spart das Verfahren rund 95 Prozent CO2-Emissionen ein. Wird das im Prozess abgegebene CO2 zusätzlich gespeichert, sind laut Hortsch sogar negative Emissionen von bis zu 120% möglich. 


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Das sunliquid® Verfahren ist seit 2012 in einer Demonstrationsanlage in Straubing im Einsatz. Für die Gewinnung des klimaneutralen Zellulose-Ethanols werden dort vor allem Agrarreste, wie Weizen- oder Gerstenstroh verarbeitet. Dabei ergeben rund fünf Tonnen Stroh eine Tonne Bioethanol. Ein Vorteil des Verfahrens: Es ist rohstoffflexibel und kann dadurch an die Rohstoffe der Einsatzregion angepasst werden. So stehen in China beispielsweise hauptsächlich Reisstrohreste, in Nordamerika Maisstroh und in Südamerika Reststoffe aus der Zuckerrohrproduktion zur Verfügung. Clariant hat in der Demonstrationsanlage bereits mehr als 30 verschiedene Rohstoffe getestet, u.a. Miscanthus, auch als Elefantengras bekannt, Maisstroh oder Zuckerrohr Bagasse.
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Auch der Einsatz der Technologie in kommerziellem Maßstab ist laut Ralf Hortsch bereits möglich. So baut Clariant seit 2018 eine Großanlage im Südwesten Rumäniens, in der jährlich rund 50.000 Tonnen Zellulose-Ethanol aus 250.000 Tonnen Stroh produziert werden sollen. „Das zeigt, dass unser sunliquid® Verfahren im großen Maßstab einsatzfähig ist“, so Hortsch. Die Frage, ob dafür auch ausreichend Mengen an Agrarreststoffen zur Verfügung stehen, beantwortet er „ganz klar mit ja.“ Die Fülle an vorhandenem Getreidestroh war beispielsweise einer der ausschlaggebenden Gründe für die Wahl des Standortes in Rumänien. Um auch in Bezug auf die Rohstofflieferkette Nachhaltigkeit zu gewährleisten, sollte ein gewisser Transportradius um die Anlage herum nicht überschritten werden.  

Auch Biotechnologe Ekhard Boles, Professor für Mikrobiologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main befürwortet ein solches „dezentrales Modell“: „Wenn man die Reststoffe von sehr weit herantransportieren muss, wird es fragwürdig.“ Allerdings seien solche regionalen Anlagen häufig sehr klein, ihre Betriebskosten fielen dadurch sehr stark ins Gewicht. „Man braucht einen Kompromiss zwischen der Größe der Anlage und dem Umkreis, aus dem man die Reststoffe einsammelt.“ Die Nutzung von regionalen Abfällen sei dann nicht nur ökologisch, sondern auch preislich die bessere Variante.
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Die Kalkulationen, inwiefern Bioethanol die Kraftstoffe aus fossilen Rohstoffen in Zukunft tatsächlich ersetzen könnte, variieren laut Boles jedoch stark. Er selbst hielte eine Quote von 20 bis 30 Prozent für realistisch. Eine andere Möglichkeit sei es außerdem, das Bioethanol mit herkömmlichen Kraftstoffen zu mischen. Bereits heute werde Bioethanol in Form von E5 oder E10 konventionellen Kraftstoffen beigemischt. In Brasilien setze man sogar auf E25, also einen Kraftstoff mit 25 Prozent Bioethanol-Anteil. Zwar spare man damit den konventionellen Kraftstoff nicht komplett ein, durch die bessere Klimabilanz des Biokraftstoffs reduziere man jedoch die CO2-Emissionen, erklärt der Biotechnologe.
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Zusätzlich zum ökologischen Aspekt bietet die Bioethanol-Produktion auch aus sozioökonomischer Sicht Vorteile, wie Ralf Hortsch von Clariant deutlich macht: „Durch den Umstieg auf lokal produzierte Biokraftstoffe werden Arbeitsplätze und zusätzliche Einnahmepotenziale in ländlichen Regionen geschaffen“, so Hortsch. Nicht nur in der Produktionsanlage selbst, sondern auch außerhalb, beispielsweise in der Rohstoff-Logistik, könnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, für Landwirte entstünden zusätzliche Einkommensquellen. So biete die Produktion von Biokraftstoffen für einige Regionen auch die Chance, sich von Ölimporten aus dem Ausland unabhängig zu machen und stärke damit die lokale Kraftstoffindustrie.
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Wasserstoff als Energiespeicher

Überschüssige Energie zu speichern, ist die Schwachstelle beim „grünen Strom“. Das Stadtwerk Haßfurt und Erlanger Forscher zeigen indes, was möglich ist – mit Wasserstoff.

Haßfurt ist in Sachen regenerative Energien ein Vorreiter in Deutschland, wenn nicht gar in Europa. Während Deutschland verstärkt darauf setzt, mit Wasserstoff Autos oder Lkw anzutreiben, will die EU mit Wasserstoff auch die Industrie langfristig zur Klimaneutralität führen: Wasserstoff, so die Europäische Kommission, könne „die Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr, Stromerzeugung und Gebäuden in ganz Europa unterstützen“.
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In Haßfurt versorgt ein Windpark mit zehn Windrädern die Stadt mit regenerativem Strom – wenn der Wind weht. Wenn zu viel Strom in den Netzen ist, müssen solche Anlagen oftmals abgeregelt werden. Grund dafür: Speicher fehlen. Doch in Haßfurt hat man eine Lösung gefunden: Wasserstoff. Das Brenngas entsteht mithilfe einer Power-to-Gas-Anlage und wird in Tanks gespeichert. So kann letztlich der Windstrom gespeichert werden. Der energiereiche Wasserstoff lässt sich zum Erdgas im normalen Gasnetz einspeisen oder bei Bedarf in einem Blockheizkraftwerk in elektrischen Strom und Heizwärme umwandeln. Apropos Blockheizkraftwerk: Gerade baut Haßfurt zusammen mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg das weltweit erste, das mit reinem Wasserstoff betrieben wird.
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Wie die Windenergie in den Speichertank kommt? Mit dem Windstrom wird Wasser (H2O) per Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) zerlegt. In jeder Elektrolyse-Zelle stecken 250 Membrane, vergleichbar mit extrem dünnen Kaffeefiltern, die Wasserstoff- und Sauerstoffatome voneinander trennen. Der Sauerstoff wird dann an die Umwelt abgegeben. Der Wasserstoff lässt sich in einem Tank speichern.


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Haßfurt profitiere von diesem regenerativen Erzeugungsmix, sagt Norbert Zösch, Geschäftsführer der Stadtwerk Haßfurt GmbH: „Wir produzieren in Haßfurt somit bereits über 200 Prozent, also etwa 90 Millionen der benötigten 40 Millionen Kilowattstunden unserer Haushalts- und Gewerbekunden.“

Zösch ist sich der Vorreiterrolle bewusst. Er sieht vor allem im Speichermedium Wasserstoff die beste Lösung, um den Auswirkungen des Klimawandels effizient entgegenzusteuern. Man müsse für die Energiewende den weiteren Ausbau „unterstützen und nicht behindern", fordert der Stadtwerk-Geschäftsführer.
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Erneuerbare Energien gehören inzwischen zu den wichtigsten Stromquellen in Deutschland. Im Jahr 2019 betrug der Anteil des „grünen Stroms“ laut Bundeswirtschaftsministerium 42 Prozent. Bis 2025 sollen bis zu 45 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Mit knapp 70 Prozent stellen Wind- und Solarenergie dabei derzeit den Hauptanteil. Vor allem die Windkraft spielt eine entscheidende Rolle.

Doch ist der Ausbau der Windkraftanlagen ins Stocken geraten, in Bayern durch die umstrittene 10H-Regelung (Abstand zu Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplan mindestens das 10-Fache ihrer Höhe) gar zum Erliegen gekommen. Norbert Zösch kann diese Regelung nicht nachvollziehen, so könne man die Energiewende nicht vorantreiben. Gerade für den Ausbau der Wasserstofftechnologie seien neue Windkraftanlagen unerlässlich.
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Haßfurt demonstriert, wie in Bayern Windenergie effektiv genutzt werden kann. Auch 80 Kilometer weiter, im Unternehmen "Hydrogenius" aus Erlangen, sieht man in Wasserstoff als Energiespeicher eine große Zukunft. Denn Wasserstoff lässt sich nicht nur in Erdgasleitungen pumpen, er sorgt auch für emissionsfreie Mobilität. Noch ist die Bereitstellung großer Wasserstoffmengen an Wasserstofftankstellen ist eine große Herausforderung. Der Transport ist teuer und mit Sicherheitsrisiken verbunden, weil reiner Wasserstoff mit Sauerstoff explosive Gemische bildet - Stichwort Knallgas. "Hydrogenious" bietet als Lösung eine Technologie, die Wasserstoff in Öl speichert.
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Entwickelt haben das Verfahren drei Forscher, darunter Peter Wasserscheid, Direktor am Helmholtz-Institut Erlangen- Nürnberg für Erneuerbare Energien. Es erlaubt, Wasserstoff in der heute schon verfügbaren Infrastruktur für Kraftstoffe zu speichern und auch zu transportieren. „Wir suchten nach einer Trägerflüssigkeit, um regenerativ erzeugten Wasserstoff sicher verwahren zu können“, erklärt Wasserscheid. „Mit Dibenzyltoluol wurde ein Stoff gefunden, der industriell für seine hohe Stabilität bekannt ist und sich hervorragend als flüssiger Wasserstoffträger eignet.“

Das Szenario: Windkrafträder produzieren überschüssigen elektrischen Strom, so wie in Haßfurt. In einem Hydrier- Reaktor wird der Wasserstoff unter Druck mit Dibenzyltoluol, einer organischen Flüssigkeit, kurz LOHC (engl.: liquid organic hydrogen carriers), zusammengebracht und fest daran gebunden. „Das Prinzip ähnelt dem Füllen und Leeren einer Pfandflasche, die danach für den nächsten Speicherzyklus wieder bereitsteht“, so Wasserscheid. Gebunden an das flüssige Dibenzyltoluol lässt sich der Wasserstoff gefahrlos transportieren. Abnehmer können eine beliebige Industrieanlage oder eine Wasserstofftankstelle sein.
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Der entscheidende Faktor sei die Speicherung der Energie, also die Einlagerung des Wasserstoffs. Um den Wasserstoff aus der beladenen Flüssigkeit wieder lösen zu können, braucht es Temperaturen von 250 bis 300 Grad Celsius. Die Rückge-winnung des Wasserstoffs findet laut Wasserscheid in einer Dehydrierungseinheit mit einem Katalysator statt. Die chemische Bindung zwischen Energieträger und Wasserstoff wird dabei wieder gelöst, der Wasserstoff dann direkt in einer Brennstoffzelle in Strom umgewandelt.

Sowohl das Stadtwerk Haßfurt als auch das Erlanger Unternehmen sehen in Wasserstoff als Energiespeicher die Zukunft in der Energiewende. Das Stadtwerk hat das Ziel klar definiert: null Emissionen in allen Sektoren. Nicht nur in kommunalen Vorzeigeprojekten, sondern in ganz Deutschland. Norbert Zösch fordert deshalb, die die Dominanz der "Etablierten" des Energiesektors zu durchbrechen – „und dann den Wasserstoff an die Position bringen, wo er hingehört“.
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Pilze als Wasserfilter

Schmerzmittel, Antibiotika, Röntgenkontrastmittel – Rückstände von chemischen Erzeugnissen verunreinigen das Wasser. Konventionelle Kläranlagen schaffen es nicht, diese Mikroverunreinigungen vollständig aus dem Wasser zu filtern. Enzyme bestimmter Pilze könnten dieses Problem lösen.
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Ob abgewaschene Schmerzlotionen, über den Urin ausgeschiedene Antibiotika oder per Klospülung entsorgte Tablettenreste: Chemische Stoffe gelangen über verschiedene Wege in das kommunale Abwasser, von dem in Deutschland jährlich zehn Milliarden Kubikmeter anfallen. Diese Substanzen bezeichnet man als Xenobiotika, also »dem Leben fremde Stoffe« (gr. xenos = fremd, bios = Leben).

Neben Arzneimitteln, die rund ein Fünftel der Xenobiotika ausmachen, fallen darunter insbesondere bestimmte Industrie- und Agrarchemikalien. Thomas Ternes, Leiter der Abteilung Qualitative Gewässerkunde der Bundesanstalt für Gewässerkunde, schätzt die Menge der Substanzen auf rund 300.000 Tonnen pro Jahr. Problematisch ist, dass das dreistufige Filtersystem konventioneller Kläranlagen es nicht schafft, die Xenobiotika vollständig aus dem Wasser zu entfernen. Da 97 Prozent des Abwassers durch solche Kläranlagen gereinigt werden, verbleibt der Großteil der Stoffe im Wasser.
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Ein Beispiel ist der Wirkstoff Diclofenac, der Bestandteil vieler Schmerztabletten ist und herkömmliche Anlagen fast ungefiltert passiert. Laut dem Umweltbundesamt (UBA) bewegt sich die Konzentration der Schadstoffe im gereinigten Wasser im Nano- bis Mikrogramm pro Liter Bereich, sodass man von Spurenstoffen spricht. Doch bereits in dieser geringen Menge schädigen Chemikalien das Ökosystem, sagt Dr. Anett Werner von der Technischen Universität Dresden:
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An diesem Punkt setzt Werner mit ihrer Forschungsgruppe an. Mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde und der Firma ASA Spezialenzyme erforschen sie im Projekt XENOKat, wie man mithilfe von Ständerpilzen (Basidiomyceten) die Xenobiotika aus dem Wasser herausfiltern kann.
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Um an die Enzyme zu gelangen, kultiviert Werner die Pilze in einem Bioreaktor. Geschützt wachsen sie in einer Petrischale auf einem Nährmedium, meist Kartoffel- oder Malzextrakt. Danach isoliert Werner die gebildeten Enzyme, beispielsweise indem sie diese vom Pilzmycel (= fadenförmige Zellen) abwäscht oder die Flüssigkeiten von den Pilzkulturen trennt. Die gewonnenen Enzyme können jedoch nicht ohne Weiteres ins Abwasser zugeleitet werden, denn sie sind Proteine und somit Nahrung für tausende Mikroorganismen, die im Abwasser leben. Daher bindet die Forscherin die Enzyme an metallische Hohlkugeln und immobilisiert sie somit. Die vom Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung entwickelten Kugeln sind hochporös, sodass die Enzyme auf der Oberfläche haften. Um das Wasser zu reinigen, sind die etwa vier Millimeter großen Kugeln mehrere Tage im Einsatz. Ihr Vorteil: Man kann sie reinigen, mit neuen Enzymen beschichten und wiederverwenden.


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Doch auch diese Technik ist kein Patentrezept: Während die Enzyme beispielsweise Diclofenac beinahe vollständig abbauen, ist ihre Wirkung bei anderen Stoffen wie dem Betäubungsmittel Lidocain deutlich geringer oder gar nicht feststellbar. Dennoch: Der Einsatz von Pilzenzymen ist noch ganz woanders denkbar:

















© Anett Werner
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In einer Publikation unterstreicht das UBA die Problematik der Mikroverunreinigungen und fordert, dass Kläranlagen dazu verpflichtet werden, eine vierte Filterungsstufe einzubauen: „Erst mithilfe einer geeigneten vierten Reinigungsstufe lässt sich ein breites Spektrum an Mikroverunreinigungen entfernen.“ Das UBA sieht die Lösung in einer Kombination alternativer Verfahren: Der Ozonierung, bei der das Gas Ozon die Verunreinigungen im Wasser spaltet und sich dabei selbst in Sauerstoff verwandelt, und eines Verfahrens mit Aktivkohle. Dabei soll poröse Aktivkohle die Schadstoffe in sich aufnehmen und so aus dem Wasser entfernen. Beides wird in der Schweiz bereits eingesetzt.  

Werner sieht die beiden Verfahren vor allem aus Umweltaspekten teilweise kritisch: „Die Herstellung von Aktivkohle hat durch das anfallende CO2 eine sehr schlechte Ökobilanz.“ Bei der Ozonierung dürfe zusätzlich die Gefahr, dass krebserregende Stoffe entstehen können, nicht vernachlässigt werden. Der biologische Pilzfilter sei dagegen nachhaltig und die Enzyme würden ohne Zutun komplett abgebaut. Laut Werner ist eine Kombination aus allen drei Ansätzen am vielversprechendsten.
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Die Pilzfilter hat die TU Dresden bisher nur im Labor getestet. Werner gibt zu bedenken, dass die äußeren Einflüsse eines reellen Klärbeckens wie Strömungsgeschwindigkeiten oder Temperaturunterschiede im Labor nicht simuliert werden können. Eine Umsetzung in großem Maßstab sei insgesamt schwierig, vielmehr ein punktueller Einsatz bei besonders belastetem Wasser sinnvoll.  

Eine gesetzliche Grundlage für die Nachrüstung der Kläranlagen, wie sie das UBA fordert, gibt es bisher nicht. Mit dem Spurenstoffdialog hat das Bundesministerium für Gesundheit aber einen Austausch mit den Beteiligten ins Leben gerufen, um Lösungen zu erarbeiten. Außerdem läuft unter dem Titel „Gib der Natur nicht den Rest!“ seit Anfang des Jahres eine Kampagne, um auf die falsche Entsorgung von Medikamentenresten aufmerksam zu machen.
Xenobiotika im Abwasser stellen jedoch keine Gefahr für den Menschen dar, sagt Werner:
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Andere Forschende befürchten jedoch, dass  auf Dauer Arzneimittelresistenzen entstehen könnten. Auch indirekt wäre der Mensch betroffen, wenn beispielsweise durch die Verweiblichung der Lurche ganze Tierpopulationen ausstürben. Daher fordert Werner sofortiges Handeln: „Die Rückstände sind ein Problem, das uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird.“  
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Nachhaltige Batterien

Die Batterietechnologie gilt als ein Schlüssel für eine erfolgreiche Energiewende. Doch um die Batterieproduktion klimafreundlicher zu gestalten, muss sie sich stärker am Produktkreislauf orientieren. Sowohl Wirtschaft als auch Forschung beschäftigen sich inzwischen damit.


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Im Jahr 2020 wurden knapp 400.000 Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb neu zugelassen. Ein Jahr zuvor lag diese Zahl noch bei 112.000 Fahrzeugen, wie aus dem E-Mobility Index 2021 von Roland Berger hervorgeht. Forderungen, die für die Elektromobilität nötigen Batteriemodule klimafreundlicher zu produzieren, werden daher immer lauter. Besonders auf den in nahezu allen Elektrofahrzeugen zu findenden Lithium-Ionen-Batterien ruhen große Hoffnungen. Henning Lorrmann leitet das Fraunhofer Forschungs- und Entwicklungszentrum (FuE-Zentrum) für Elektromobilität in Bayern. Er sagt: „Die Lithium-Ionen-Batterie ist aus technologischer Sicht der Zehnkämpfer in der Batterietechnologie.“ Sie sei in allen Disziplinen wie Energie- und Leistungsdichte, Lebensdauer, Zuverlässigkeit und Kosten gut aufgestellt. Ein großer Nachteil sei aber das Recycling der Batterien innerhalb der Wertschöpfungskette. Um die Mobilität der Zukunft so klimafreundlich wie möglich zu gestalten, müssen Forschung und Industrie daher an neuen Batterie-Lösungen arbeiten und ihren Produktkreislauf verbessern.



Foto: TWAICE


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Das Team um Lorrmann ist Teil des EU-Projekts BATTERY2030+. Sie forschen daran, die gesamte Wertschöpfungskette einer Batteriezelle klimafreundlicher zu gestalten – angefangen vom Material bis hin zur finalen Batterie. Lorrmann erklärt: „Wir testen das Material, bauen Kleinserien auf und können so Prototypenzellen zusammenbauen.“ Dabei spielen sie verschiedene Szenarien durch und zyklisieren die Batterien. Unter der Zyklisierung eines Batteriemoduls versteht man den Auf- und Entladevorgang eines Moduls. Wie eine Batterie sich auf- und entlädt, beeinflusst, wie sie altert – sprich wie lange sie wie gut genutzt werden kann. Die Forschenden öffnen anschließend die zyklisierten Zellen und versuchen, mithilfe chemischer Verfahren mögliche Schwachstellen der Batterie zu entschlüsseln. Die dabei gewonnen Daten nutzen Lorrmann und sein Team dann für weitere Forschungen.



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Das Unternehmen Twaice mit Sitz in München sammelt ebenfalls große Datenmengen, um Batterien für E-Fahrzeughersteller und Energieunternehmen zu optimieren. Die gesammelten Daten führt Twaice in sogenannten Big Data-Anwendungen zusammen. Unter dem Begriff Big Data versteht man besonders große Datenmengen, die durch ihre Größe und der fehlenden Struktur nur mittels Algorithmen geordnet und dadurch verwendbar gemacht werden können. Über diese können Batterie-Ingenieure wie Jan Singer Rückschlüsse darüber ziehen, wie die Batterien altern und sich über die Zeit verhalten.


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Vor allem eine längere Anwendungszeit und die Nutzung in sogenannten Second-Life-Anwendungen seien wichtige Faktoren bei seiner Arbeit, sagt Singer. Beispielsweise lassen sich gebrauchte Lithium-Ionen-Batterien aus mobilen Anwendungen wie Fahrzeugen oft noch gut in stationäre Energiespeicher integrieren. „Die gebrauchten Batterien haben oftmals noch 80 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Im stationären Energiebereich kann man einen Kapazitätsverlust zwischen 30 und 40 Prozent locker hinnehmen, um das System noch sicher und zuverlässig zu betreiben“, erklärt Singer. Die Batterien werden so wiederverwendet und bekommen sozusagen ein zweites Leben.


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Stationäre Energiespeicher stabilisieren das Stromnetz bei hohen Lastspitzen. Außerdem können sie Strom, der tagsüber zu viel produziert wurde, speichern, um ihn dann nachts ins Netz abzugeben. Dass sich diese Systeme besonders gut für Second-Life-Anwendungen der Batterien eignen, liegt laut Singer vor allem daran, dass die Belastungspeaks bei stationären Energiespeichern nicht so hoch sind. Beim Beschleunigen und Bremsen im Automobilbereich müsse die Batterie viel mehr auf einmal leisten. „Es ist durchaus möglich, die Lebensdauer einer Batterie dadurch um 30 bis 40 Prozent zu verlängern“, sagt der Batterie-Ingenieur.











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Auch Lorrmann vom FuE-Zentrum für Elektromobilität in Bayern ist der Ansicht, dass eine längere Anwendungszeit und die Nutzung in Second-Life-Konzepten wichtig seien. Um Batteriemodule auf Dauer klimafreundlicher herzustellen und zu nutzen, müssten die Komponenten aber aus erneuerbaren Energiequellen stammen und mit maximaler Effizienz genutzt werden. Daher sei auch die Substitution innerhalb der Batterien ein Thema. Es befinde sich beispielsweise immer noch Kobalt in den Batterie-Kathoden. „Da gibt es fortgeschrittene Ansätze, Kathoden auch kobaltfrei herzustellen, wie beispielsweise mit einer Mischung aus Nickel und Mangan“, sagt Lorrmann. Gleiches könne auch für Lithium der Fall sein: Es gebe Ansätze, Lithium in Zukunft beispielsweise durch Natrium zu ersetzen. Allerdings liege die Leistungsfähigkeit der Natrium-Ionen noch deutlich hinter denen der Lithium-Ionen.


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Dass Lithium für Mensch und Natur jedoch ein problematischer Bestandteil von Batterien ist, zeigt sich im sogenannten Lithiumdreieck. Mit mehr als 60 Prozent befinden sich die größten Lithiumvorkommen an der Grenze von Argentinien, Bolivien und Chile. Da die Förderung von Lithium sehr wasserintensiv ist, sinkt in den betroffenen Regionen der Grundwasserspiegel drastisch. Darunter leidet nicht nur die Vegetation: Auch die Menschen kämpfen immer stärker mit den Folgen des Lithium-Abbaus, wie aus einem Report von Brot für die Welt hervorgeht.


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Die EU-Kommission hat sich in einer Pressemitteilung im Dezember 2020 dafür ausgesprochen, den Lebenszyklus von Batterien kreislauforientierter und klimafreundlicher zu gestalten. Darin heißt es: „Batterien, die in der EU in Verkehr gebracht werden, sollten über ihren gesamten Lebenszyklus nachhaltig, leistungsfähig und sicher sein.“ Laut Singer muss deshalb der Schritt hin zu einer Produktion mit erneuerbaren Energien, einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft und einer Verlängerung der Lebensdauer gemacht werden.


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Auch wenn neue und effizientere Module entwickelt werden, die die Lebensdauer von Batterien verlängern: Jedes Modul wird trotzdem recycelt werden müssen. Aus diesem Grund müsse man ebenfalls die Recyclingverfahren verbessern, ist Lorrmann überzeugt. Damit Batterien jedoch in Zukunft in einem ständigen Kreislauf geführt werden könnten, seien nicht nur Forschung und Industrie gefragt. Lorrmann fügt hinzu: „Am Ende ist das auch ein gesellschaftspolitisches Thema.“
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Bioherbizide

Wo Boden ist, konkurrieren Kulturpflanzen und Unkräuter. Doch wo Minze wächst, wächst meist nichts anderes mehr. Forscher haben nun herausgefunden, warum das so ist – und wie die Landwirtschaft davon profitieren könnte.


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Da Unkräuter den Kulturpflanzen Platz, Nährstoffe und Wasser streitig machen, werden sie bekämpft. Landwirte greifen dabei unter anderem auf konventionelle, chemische Herbizide zurück, die das Ökosystem stark belasten. Im Jahr 2019 wurden laut dem Umweltbundesamt (UBA) etwa 27.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel verkauft, rund die Hälfte davon waren Herbizide. Dabei bekämpfen Herbizide nicht nur Unkräuter: Sie schädigen auch andere Pflanzenarten. Das UBA sieht daher in ihnen die Hauptursache für den Rückgang der Artenvielfalt. So können durch die Unkrautbekämpfung Insektenarten wie die Schlupfwespe lokal massiv reduziert werden, was wiederrum die gesamte Nahrungskette beeinträchtigt. Um die globale Ernährungssicherheit zu gewährleisten, gilt es, im Sinne der Bioökonomie umweltverträgliche Unkrautbekämpfungsmittel zu entwickeln. Aktuell gibt es in Deutschland noch keine zugelassenen biologischen Herbizide.
Doch sie könnten eine Lösung sein, sollten sie spezifisch auf eine Unkrautart wirken, ohne die Pflanzenvielfalt und Bodengesundheit zu gefährden.Der Molekularbiologe Peter Nick und sein Team arbeiten am Botanischen Institut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) daran, ein solches Bioherbizid entwickeln.


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Nick und sein Team nutzen einen neuen Ansatz für nachhaltige Unkrautbekämpfung: die biologische Kommunikation zwischen Pflanzen. Denn im Wettbewerb sind einige Pflanzen erfolgreicher als andere, so auch die Minze. „Wir haben in der Natur beobachtet, dass da, wo sich Minze ansiedelt, bald nichts anderes mehr wächst“, sagt Nick. „Deshalb untersuchten wir das Keimverhalten anderer Pflanzen in der Nähe der Minze und konnten feststellen, dass diese die Keimung in vielen Fällen unterdrückt.“

In Zellkulturen erkannten die Forscher, dass die im ätherischen Öl der Minze vorhandene Verbindung Menthon dafür sorgt, dass sich in der Nachbarpflanze die Mikrotubuli – ein Teil des Zellskeletts – sehr schnell auflösen. Dadurch bringen sich die Zellen um und die Pflanze stirbt. Diese chemische Kriegsführung unter Pflanzen nennt man auch Allelopathie. Laut Nick lässt sich Menthon besonders gut gegen das Unkraut Ampfer einsetzen. Im Interview erklärt der Molekularbiologe, wie das Menthon auf den Acker gebracht werden könnte.




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Bis ein solches Bioherbizid entwickelt und zugelassen ist, braucht es viel Zeit und Geld. Pflanzenschutzmittel gehören zu den am strengsten regulierten Substanzen der Welt. Martin May, Pressesprecher des Industrieverbands Agrar, erklärt: „Pflanzenschutzmittel erhalten nur dann eine Zulassung, wenn sie bei der Anwendung unbedenklich für Mensch, Tier und Natur sind. Zudem muss die Wirksamkeit nachgewiesen werden.“ Eine Zulassung für ein Bioherbizid zu erhalten, ist schwer: Die Wirkmechanismen biologischer Pflanzenschutzmittel sind meist komplexer als die von konventionellen Herbiziden. Zudem sind sie teilweise nicht vollständig bekannt.
Kosten stellen eine weitere Herausforderung dar. In die Forschung muss laut Nick mehr Geld fließen, damit aus Projekten wie seinem überhaupt ein Bioherbizid produziert werden kann. Zusätzlich müssen die Kosten für die landwirtschaftlichen Betriebe stimmen, damit diese wettbewerbsfähig bleiben können. Bioherbizide dürfen in der Praxis nicht zu teuer werden.


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Anton Huber ist Referent für Getreide, Ölsaaten und Digitalisierung beim Bayerischen Bauernverband. Er betont, dass es wichtig sei, Bioherbizide zu entwickeln. „Neue Wirkstoffe sind grundsätzlich immer gut. Schließlich brauchen wir eine möglichst breite Palette an Wirkstoffen, um Resistenzen zu vermeiden“, sagt er. Je breiter die Auswahl sei, desto mehr Resistenzmanagement sei möglich. Trotzdem sei zu beachten, dass nicht alles, was biologisch sei, automatisch für die Natur und den Menschen ungiftig sei. Die Kartoffelknolle beispielsweise sei nahrhaft, die Kartoffelpflanze mit ihren Blüten und Beeren dagegen sei für den Menschen giftig.

Auch bei Bioherbiziden stellt sich die Frage, ob Unkräuter auf Dauer resistent dagegen werden. Im Interview erklärt Nick vom KIT, wieso dies nicht der Fall sein wird.


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Seitens der landwirtschaftlichen Betriebe besteht großes Interesse an Bioherbiziden. Georg Faatz, Landwirt in einem Familienbetrieb bei Bamberg, sagt, sie würden bereits sehr darauf achten, so wenig Herbizide wie möglich einzusetzen. Wären Bioherbizide mit dem passenden Wirkungsgrad und Preis für den Betrieb verfügbar, würde seine Familie sofort umsteigen. Auch May vom Industrieverband Agrar äußert sich positiv zur Zukunft von Bioherbiziden: „Biologischer Pflanzenschutz ist ein wachsender Markt. Die führenden Unternehmen der Branche in Europa haben Investitionspläne im Forschungs- und Entwicklungsbereich von vier Milliarden Euro bis 2030, um biologische Mittel zu entwickeln.“ Folglich sei das Thema auch für klassische Pflanzenschutzmittelhersteller relevant. May geht trotzdem davon aus, dass biologische Herbizide die chemischen zukünftig nicht ersetzen werden, sondern diese nur ergänzen. Insgesamt benötige es mehr Wirkstoffe, um Unkrautresistenzen zu verhindern. Bioherbizide kommen daher aktuell nur als ergänzende Mittel infrage.


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Bis es Bioherbizide auf dem deutschen Markt geben wird, benötigt es noch mehr Zeit, Geld und Forschung. Interessant werden könnten biologische Herbizide auch für Biobauern, wenn sie im Biolandbau zugelassen werden. Forschungsprojekte wie das des KIT zeigen, dass Interesse besteht, im Bereich biologischer Pflanzenschutzmittel voranzukommen – ebenso seitens des Industrieverbands Agrar. So kündigt auch May an: „Im Moment werden viele Weichen für die Landwirtschaft neu gestellt. Der Markt für Bioherbizide steht noch in den Anfängen und hält viel Potenzial bereit.“


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Abwasser Recycling

Wasser wird als Folge des Klimawandels zur knappen Ressource. Das wird auch Landwirte in Deutschland vor Probleme stellen. Abhilfe könnten Kläranlagen schaffen: Sie liefern nicht nur Wasser, sondern auch die nötigen Nährstoffe für den Pflanzenanbau.
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In Deutschland kommt es bisher noch selten zu akuten Engpässen. Beispielsweise im niedersächsischen Lauenau blieben die Hähne im August 2020 aufgrund ausbleibender Niederschläge über ein Wochenende trocken. Solche Ausfälle sind jedoch meist nur ein Symptom der größeren Problematik hierzulande: In vielen Regionen sinken die Grundwasserstände immer weiter. 2020 ergab eine Messung des Umweltbundesamtes in Hessen, dass die Pegel an 73 Prozent der Messstellen auf einem unterdurchschnittlichen Niveau waren. Aber wann wird schwindendes Grundwasser zu einem Problem?

Bisher setzten Landwirte in Deutschland auf Regen. Nur etwa zwei Prozent der Agrarflächen werden künstlich bewässert und das geschieht in der Regel durch die Entnahme von Grund- oder Flusswasser. Verstetigt sich die Tendenz der geringeren Niederschläge und der steigenden Temperaturen, müssen Landwirte jedoch zunehmend das schwindende Grundwasser nutzen. Für die Zukunft bedeutet das, dass öffentliche Wasserversorgung, Landwirtschaft und Industrie bei der Frischwassernutzung konkurrieren.






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Genug Wasser für alle ist also nicht selbstverständlich. Unter der Leitung der Technischen Universität Braunschweig wollen das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung und elf weitere Partner des Projektverbunds Hypowave daher Abwasser aus Kläranlagen recyceln und für den Gemüseanbau nutzen. Wer bei dem Gedanken erst einmal zurückschreckt, kann beruhigt sein: „Wir ziehen das Gemüse nicht aus Abwasser, sondern nutzen die enthaltenen Ressourcen und klar gereinigtes Wasser zur Bewässerung“, stellt Martina Winker vom ISOE klar. Sie koordiniert den Projektverbund, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Im Interview erklärt Winker, worauf es bei der Aufbereitung des Wassers ankommt und welches System am effektivsten ist.









Foto: ISOE (Institut für sozial-ökologische Forschung)




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Der Projektverbund untersucht die Potenziale eines wassersparenden Konzepts für die Landwirtschaft. Dabei kommt Hydroponik, eine erdlose Kultivierung, zum Einsatz. Die Pflanzen erhalten alle nötigen Nährstoffe durch eine Nährlösung und werden nicht eingepflanzt. Winker erklärt: „Hydroponik erlaubt es uns, Wasser effizienter zu nutzen, weil es nicht versickert und wir Kreisläufe bilden können, in denen das Wasser zirkuliert, bis es von den Pflanzen verbraucht wird.“ Zudem können wichtige Nährstoffe wie Phosphor, Stickstoff oder Kalium aus dem Abwasser gewonnen werden, die normalerweise durch Dünger zugeführt werden.Die Pflanzen werden bei Hypowave in Gewächshäusern angebaut. Um den logistischen Aufwand möglichst gering zu halten, wandert die Pflanzenzucht vom Feld direkt neben die Kläranlage. Dass dieser Ansatz funktioniert, hat Hypowave bereits mit einer Pilotanlage in Hattorf bei Wolfsburg bewiesen. Dort hat der Forschungsverbund mehrere Generationen von Salatköpfen angebaut. „Salat eignet sich für wissenschaftliche Untersuchungen besonders gut, weil er innerhalb von sechs Wochen reif ist und wir so schnell Ergebnisse erhalten haben“, erklärt Winker. Im Interview erzählt sie zudem, welche Herausforderungen das Forschungsteam im Projekt zu meistern hatte.



Foto: ISOE (Institut für sozial-ökologische Forschung)



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Für die nächste Projektphase, Hypowave+ genannt, sind allerdings andere Pflanzen wie Tomaten prädestiniert. Tomaten benötigen viel Wärme und sind frostempfindlich, weshalb sie in der Regel in Gewächshäusern und nicht im Freiland angebaut werden. Abwasserrecycling macht diese Aufzucht ökologischer und ökonomischer, da weder Dünger noch zusätzliche Bewässerung nötig sind.

Hypowave+ wird einen größeren Maßstab haben als die Pilotanlage in Hattorf. Denn die dort angebauten Tomaten sollen in ortsansässigen Supermärkten vertrieben werden. Damit sich das Projekt wirtschaftlich lohne, müsse die Anbaufläche mindestens einen Hektar groß sein, sagt Winker. Die neue Anlage wird in der Nähe von Gifhorn, etwa 20 Kilometer von Wolfsburg entfernt, entstehen. Dort sind die Böden eher sandig und Regenwasser versickert zu schnell. Dabei bleibt das Projekt gezielt im periurbanen Raum, wo Stadt und Land aufeinandertreffen. Hier können Landwirte von dem Anbaukonzept mit geschlossenen Nährstoff- und Wasserkreisläufen profitieren und es gibt einen Absatzmarkt für die erzeugten Lebensmittel. „Für uns ist es jetzt wichtig, in der passenden Nische die Marktreife zu erproben“, meint Winker weiter.



Foto: ISOE (Institut für sozial-ökologische Forschung)





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Die Ressource Wasser zu verteilen, ist eine sogenannte Nexusherausforderung, weil sie nicht für sich allein gelöst werden kann. Sandra Schwindenhammer vom Projekt Suskult erklärt: „Zum einen ist die Landwirtschaft auf große Mengen Wasser angewiesen. Zum anderen beeinflusst die landwirtschaftliche Nutzung die Wasserqualität, indem beispielsweise Nitrate in das Grundwasser fließen.“ Wasserpolitik müsse immer im Zusammenhang mit Landwirtschaftspolitik betrachtet werden. Das Verbundprojekt Suskult, mit insgesamt 15 Partnern, untersucht ebenfalls die Potenziale des Abwasserrecyclings für den hydroponischen Anbau. Anders als Hypowave ist Suskult aber in Städten angesiedelt, also dort, wo nach einer Prognose der Vereinten Nationen im Jahr 2050 bis zu 85 Prozent der Bevölkerung leben könnten.

„In urbanen Räumen gibt es heute schon Impulse aus der Gesellschaft, Städte als Orte der Lebensmittelerzeugung zu erschließen“, ergänzt Schwindenhammer. Das fange bei Stadtbienen an, gehe über Urban-Gardening und münde darin, dass die Kläranlage zum Nährstoffcenter für die Bevölkerung werde.








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Die Vision von Suskult ist es, eine urbane und zukunftsweisende Landwirtschaft zu entwickeln. „In puncto Effektivität und Nachhaltigkeit sind wir auf einem guten Weg“, sagt Schwindenhammer. „Um den aus Abwasser gewonnenen Flüssigdünger aber als akzeptierte Lösung in der urbanen Landwirtschaft zu nutzen, müssen gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und bestehende Ressortgrenzen angepasst werden.“ Gemeint ist, dass kein Ministerium, keine Stadt oder Interessensgruppe allein Lösungen durchsetzen kann – egal wie sinnvoll sie sind. Projekte wie Suskult zielen daher nicht darauf ab, das Problem mit der Wasserknappheit rein technisch zu lösen. Sie wollen vielmehr einen Prozess anstoßen: „Wir machen ein Angebot an die Gesellschaft, bei dem die Kläranlage zu einem Nährstoffcenter wird. Damit diese Vision angenommen wird, brauchen wir Rückhalt aus der Bevölkerung, politischen Willen und den Mut, neue Wege zu gehen“, sagt Schwindenhammer.


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Nachhaltige Kleidung

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Die Textilbranche steht an einem Scheidepunkt. Immer weiter, immer günstiger produzieren? Oder mit innovativen Geschäftsmodellen einen anderen Weg wählen, der Mensch und Umwelt auf lange Sicht besser tut als unbefriedigende Wegwerfmode? Ein Blick in die Zukunft unserer Kleiderschränke.

Ein kurzes Gedankenspiel: Angenommen Studentin Bea guckt morgens in ihren Kleiderschrank und weiß vor lauter Teilen gar nicht, was sie am liebsten tragen würde. Vielleicht das Schnäppchen von vor zwei Wochen? Oder das Oberteil, das sie erst einmal getragen hat? Wobei, das hat schon jetzt sichtbare Gebrauchsspuren.

Unser Gedankenspiel ist gar nicht weit hergeholt. Denn jeder Deutsche kauft, nach Angaben der Greenpeace-Studie „Wegwerfware Kleidung“, durchschnittlich fünf neue Kleidungsstücke pro Monat, trägt aber 40 Prozent der Kleidung, die bei ihm im Schrank hängen, selten oder nie. Die Bekleidungsindustrie plant, ihre Produktion bis 2030 mehr als zu verdoppeln. Das heißt, dass die gesamte Bevölkerung dann jährlich 102 Millionen T